Der britische Sender BBC zeigte Freitagfrüh Fernsehbilder von zahlreichen Leichensäcken. Mindestens 100 Leichen seien in das Krankenhaus von Zuwara westlich von Tripolis gebracht worden, sagte ein Anrainer dem Sender. Zuwara nahe der tunesischen Grenze ist eine Hochburg von Schleppern, die Flüchtlinge über das Mittelmeer nach Italien bringen. Libyen ist zum wichtigsten Ausgangspunkt für Fluchten über das Mittelmeer geworden.

Seit Beginn des Jahres haben nach Angaben der Vereinten Nationen bereits mehr als 300.000 Flüchtlinge den lebensgefährlichen Weg über das Mittelmeer nach Europa genommen. Rund 2.500 Menschen seien dabei ums Leben gekommen, sagte die Sprecherin des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR), Melissa Fleming, am Freitag. Fast 200.000 Menschen erreichten demnach Griechenland, weitere 110.000 gelangten nach Italien. Im Vorjahr flohen insgesamt 219.000 Menschen über das Mittelmeer nach Europa, so Fleming.

Laut dem Exekutivdirektor der EU-Grenzschutzagentur Frontex, Fabrice Leggeri, wird die Flüchtlingskrise noch Jahre lang anhalten. "Diese Situation wird nicht sechs Monate und auch nicht nur wenige Jahre dauern. Mein Mandat läuft 2020 aus und die einzige vernünftige Prognose, die ich machen kann, ist dass die Aktivität von Frontex weiterhin zunehmen wird", betonte Leggeri am Freitag.

"Die Ursachen des Flüchtlingsnotstands bleiben erhalten: Die politische Situation im Nahen Osten und der Mangel an Entwicklungsperspektiven in Afrika. Das sind strukturelle Elemente, die anhalten und sich vielleicht sogar verschärfen werden", so Leggeri im Interview mit der römischen Tageszeitung "La Repubblica". Zwischen Jänner und Juli 2015 seien 340.000 Menschen illegal in die EU eingewandert. Das seien 175 Prozent mehr als im Vergleichszeitraum 2014.

"Eine Blockade könnte vorübergehend den Druck auf einen Staat reduzieren, doch die Flüchtlinge würden diese immer umgehen (...). Die Erfahrung lehrt, dass, wenn man Barrieren aufbaut, der Verkehr nicht weniger wird, sondern andere Wege sucht", sagte Leggeri in Anspielung auf Grenzzäune, die derzeit beispielsweise in Ungarn gebaut werden. Der Flüchtlingsnotstand werde die EU zu einem Wandel im Umgang mit dem Grenzschutz bewegen. Die Krise habe die EU schon oft zum Wechsel gezwungen, meinte der Frontex-Exekutivdirektor.