Molivos, im Norden von Lesbos. Ein wunderschönes Städtchen, die Häuser kleben am Burghügel. Tagsüber nahm Bernhard Koller an einem Seminar teil, abends flanierte der 36-Jährige durch die Stadt. Und hörte Kinder weinen. Immer mehr und immer lauter.

An einer Busstation kauerten sie auf dem Boden, die Kleineren oft nur mit einer Windel bekleidet, die Größeren in schmutzigen T-Shirts und Hosen. Wer Tag wie Nacht auf der Straße verbringt, sieht selten aus wie ein frischer Sommermorgen.

Der 36-jährige Grazer kam mit den Kindern ins Gespräch, einige sprachen Englisch, andere beobachteten ihn nur aus großen Augen. Aus Syrien waren die einen, aus Afghanistan die anderen, die meisten auf der Durchreise, der Sehnsuchtsort von allen: Deutschland. Ihr gelobtes Land. Ein paar wollten weiter nach Skandinavien, nur wenige nach Österreich.

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"Man liest so viel über Flüchtlinge und Schicksale, aber wenn man wirklich direkten Kontakt  hat: Das ist ein Hammer. Da kann man nicht so weitertun, als wäre nichts geschehen", erzählt Bernhard Koller. Wie viele andere Freiwillige im Ort begann auch der Grazer die Flüchtlinge mit Wasser und Lebensmitteln zu versorgen. Er nahm sich ihrer an, sprach mit ihnen. "Man kann die Situation nicht wirklich beschreiben, denn für das alles, das Elend, die triste Situation, die Hoffnungslosigkeit - dafür gibt es keine adäquaten Worte", erzählt Koller.

"Ist es wirklich wichtig, ob es sich bei den Menschen um Kriegsflüchtlinge oder Wirtschaftsflüchtinge handelt?" fragt er, und gibt sich selbst die Antwort, "letztlich wollen alle, denen ich auf Lesbos begegnet bin, in Frieden leben."

Warum Menschen flüchten? So sieht die syrische Stadt Homs heute aus
Warum Menschen flüchten? So sieht die syrische Stadt Homs heute aus © AP

Chaos auf den griechischen Inseln

Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR hat der griechischen Regierung vorgeworfen, nichts gegen die chaotischen Zustände bei der Flüchtlingsaufnahme zu unternehmen.

Auf den meisten Inseln gebe es überhaupt keine Infrastruktur für die Aufnahme der Menschen, sagte der Europa-Direktor von UNHCR, Vincent Cochetel, nach Besuchen auf Lesbos, Kos und Chois.

"Auf den Inseln herrscht das totale Chaos", sagte er. Die Versorgung mit Wasser und Lebensmitteln sei völlig unzureichend, es gebe kaum sanitäre Einrichtungen, und auf den meisten Inseln müssten die Flüchtlinge schutzlos unter freiem Himmel schlafen. Auch wenn sie nach einigen Tagen nach Athen weitergeleitet würden, erwarte sie dort das Nichts. Die griechischen Behörden müssten was dagegen tun, anstatt die Verantwortung jeweils immer weiter zu schieben.

Cochetel forderte zudem die anderen EU-Staaten auf, mehr zu tun, um Griechenland in der Flüchtlingsproblematik zu entlasten. Allein im Juli erreichten 50.000 Flüchtlinge das von Pleite bedrohte Euro-Land.

Da sich in Griechenland niemand richtig verantwortlich zeige, sei es für die Hilfsorganisationen schwierig, tätig zu werden, sagte der UNHCR-Direktor. Vorrangige Aufgabe sei es zu vermeiden, "dass an anderen Stellen in Europa ein weiteres Calais entsteht". In der französischen Hafenstadt versuchen seit Monaten Tausende Flüchtlinge, durch den Kanal-Tunnel nach Großbritannien zu gelangen. Zehn Menschen sind dabei bisher ums Leben gekommen.