Wer in Europa darauf hofft, die Flüchtlingsströme würden ohnehin von alleine abflauen, sollte einen Blick dorthin riskieren, wo sie ihren Ursprung haben: etwa nach Syrien und in den Irak. Im August 2014 begannen die USA ihren Luftkrieg gegen die Terrormiliz IS. Ein Jahr und Tausende Tote später kommen die US-Geheimdienste zu einem tragischen Befund: Dem weiteren Vormarsch der für ihre Brutalität bekannten Jihadisten konnte zwar Einhalt geboten werden. Auch sollen mehr als zehntausend ihrer Kämpfer getötet worden sein.

Doch während Al Kaida für die Terroristen dieser Welt an Attraktivität verloren hat, zieht der IS weiter Kämpfer aus Ländern wie Afghanistan, Libyen, aber auch aus Europa an. Für jeden gefallenen Terroristen taucht ein neuer auf. In unmittelbarer Nachbarschaft der EU hat der Terror sein Rückzugsgebiet konsolidiert.

Die einzigen Bodentruppen

Verschärft hat sich die Lage in den vergangenen Tagen durch die irrlichternde Politik des türkischen Präsidenten, die letztlich dem IS zugutekommt: Unter Duldung des Westens begann Erdogan, die Kurden im Norden Syriens und des Irak zu bombardieren – obwohl die kurdischen Peschmerga bisher als einzige Kampftruppen auf dem Boden bereit und in der Lage waren, den IS zu bekämpfen. Während die USA vor Bodentruppen zurückschrecken, die irakische Armee an ihrem eigenen Unvermögen scheitert und die syrischen Bürgerkriegsparteien sich auch im Jahr vier des aussichtslosen und immer furchtbareren Gemetzels ineinander verbeißen, bewiesen die Kurden, dass auch der IS nicht unbesiegbar ist.

Erdogan aber haben die Erfolge der Kurden nicht gefreut, sondern aufgeschreckt. Er fürchtet, dass ein möglicherweise entstehender selbstständiger Kurdenstaat in Nordsyrien die Selbstbestimmungswünsche der türkischen Kurden befeuern könnte. Schwer getroffen hat Erdogan offenbar der Wahlerfolg der pro-kurdischen Partei HDP im Juni bei der Parlamentswahl in der Türkei.

Allmachtsträume Erdogans

Dass diese die Zehn-Prozent-Hürde übersprang, kostete Erdogans AKP die absolute Mehrheit. Die würde er aber brauchen, um ein Präsidialsystem durchzusetzen, das seine eigene Macht weiter stärkt. Dass er nun den Friedensprozess mit den Kurden aufkündigte und nicht nur die PKK, sondern Kurden pauschal als Terrorsympathisanten brandmarkt, hängt mit seinem Wunsch nach Neuwahlen und einer zweiten Chance für die AKP zusammen. Dem HDP-Chef Demirta und seiner Stellvertreterin will die türkische Justiz den Prozess machen.

Doch anstatt Erdogan zur Vernunft und zurück an den Verhandlungstisch zu rufen, segnete die Nato seine Politik einfach ab – weil er im Gegenzug den Amerikanern gestattet, im Kampf gegen den IS türkische Militärbasen zu nutzen.

Brandherde löschen

Der Nahe Osten brennt, doch der Westen lässt weiterhin weder Entschlossenheit noch Strategie zum Löschen der Brandherde erkennen. Die Flüchtlingskrise in Europa wird nur dann zu lösen sein, wenn neben Griechenland und der Ukraine endlich auch die Nahost-Politik zur Priorität erklärt wird. Wenn die freie Welt die Steinzeit-Terroristen in den Griff bekommen möchte, muss sie den Kurden zu Hilfe kommen und mit Ausdauer an einer Lösung des Bürgerkriegs in Syrien arbeiten.