"Ich glaube, dass sie in Paris sind“. Vor zwei Jahren, erzählt Keita, sind ihre zwei großen Brüder in einen grünen, ramponierten Bus, wie sie hier in Bamako überall über die nicht asphaltierten Straßen klappern, gestiegen. Seitdem hat sie nichts mehr von ihnen gehört. Keita ist 15 und lebt mit ihren Eltern und sechs Geschwistern in einem Armenviertel von Malis Hauptstadt Bamako, schläft jede Nacht auf dem Boden in einer der heruntergekommenen Wellblechhütten der überschwemmten Straße. Irgendwann, sagt das Mädchen mit den schulterlangen Zöpfen, möchte auch sie nach Europa. Schlimmer als hier – ohne Bett, Schule, Arbeit und Essen – könne es ohnehin kaum sein, seufzt sie.


Allein im vergangenen Jahr sind mehr als 150.000 Afrikaner nach Europa geflüchtet – ein großer Teil davon aus dem völlig verarmten und von heftigen Kämpfen im Norden gebeutelten Mali. Der Grund: Vor drei Jahren ist die Lage im 16-Millionen-Einwohner-Staat, der laut „Human Development Index“ eines der ärmsten Länder der Welt ist, völlig eskaliert. Während  in Libyen zu Söldnern ausgebildete Tuareg-Rebellen und Al-Kaida-Kämpfer den Norden kontrollierten, wurde im dichter besiedelten Süden vom Militär gegen die Regierung geputscht. Die Folge war ein blutiger Krieg, der erst durch heftiges Einschreiten der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich und etwa 12.000 Soldaten und Polizisten der Vereinten Nationen (UN) halbwegs unter Kontrolle gebracht werden konnte.


Gekämpft wird im Norden nach wie vor, erst vor Kurzem wurden sechs UN-Soldaten getötet. Staatliche Strukturen existieren in Mali nicht, das Heer ist Separatisten und Rebellen völlig unterlegen – was den „Failed State“ zu einer Drehscheibe des Menschen-, Drogen- und Waffenhandels macht. Auch islamistische Anschläge nehmen zu. Ein Großteil der afrikanischen Flüchtlinge durchquert Mali auf der Odyssee nach Europa.

Generalstabschef Othmar Commenda (li.) und Verteidgungsminister Gerald Klug mit Malis Verteidigungsminister Tieman Coulibaly
Generalstabschef Othmar Commenda (li.) und Verteidgungsminister Gerald Klug mit Malis Verteidigungsminister Tieman Coulibaly © (c) APA/BUNDESHEER/GUNTER PUSCH (GUNTER PUSCH)


„Deshalb müssen wir uns militärisch stärker auf Afrika fokussieren“, sagt Verteidigungsminister Gerald Klug (SPÖ) bei einem Truppenbesuch des österreichischen Kontingents in Mali. Das Bundesheer beteiligt sich mit momentan acht Soldaten an einem EU-Einsatz, der die Stärkung der desolaten malischen Armee zum Ziel hat. Den als disziplinlos verschrienen malischen Soldaten müsse man „die einfachsten Dinge“ mühsam beibringen, erzählt ein Österreicher. Insgesamt sind 580 Soldaten aus 24 Staaten am Einsatz beteiligt, die meisten aus Deutschland. Das Kommando der Trainingsmission, die vorläufig noch bis Sommer 2016 läuft, hat ein deutscher General.

Mehr Afrika, weniger Westbalkan


Der Grund für die Schwäche der Streitkräfte ist, dass die Politik die Armee stets geschwächt hat, um vor einem Militärputsch gefeit zu sein. „Aber genau jene Zustände sind es, die Flüchtlingsströme nach Europa treiben“, sagt Klug. Man müsse sich von der Vorstellung verabschieden, dass „Landesverteidigung in den Nachbarstaaten endet“.
In Zukunft werde man verstärkt in Afrika eingreifen und vom Balkan, wo gut vier Fünftel der 1.056 österreichischen Soldaten im Ausland stationiert sind, sukzessive abziehen. Kleinere Missionen in Afrika seien die Zukunft, sagt Klug. Die Bedingungen dort sind aufgrund von hohen Transportkosten und großer Krankheitsgefahr jedoch schwierig. Ein Soldat in Mali kostet etwa zweieinhalb Mal so viel wie ein Soldat im Kosovo. Ab 2016 sollen 20 Österreicher in Mali stationiert sein.


Elice, die gerade Eisenplatten aus einem Lagerfeuer nimmt, um damit die für die Region typischen, knallbunten „Dloki-Ba“-Kleider zu bügeln, freut sich jedenfalls über die Europäer hier. „Seit sie hier sind, ist es besser“, sagt sie. Um dann ihren größten Wunsch zu verraten: „Frankreich“. Denn „weg von hier“, erklärt sie, „will jeder von uns“.