Aufgebrachte Demonstranten haben den serbischen Ministerpräsidenten Aleksandar Vucic am Samstag von der Feier zum Gedenken an das Massaker von Srebrenica vertrieben. Vucic wurde von den Demonstranten ausgepfiffen, ausgebuht und mit Gegenständen beworfen, dass er den Gedenkort verlassen musste.

Aleksandar Vucic
Aleksandar Vucic © AP

Vucic war als erster Regierungschef seines Landes nach Srebrenica gereist, um mit zahlreichen weiteren Politikern in Potocari an der Gedenkfeier für rund 8000 von bosnisch-serbischen Truppen vor 20 Jahren ermordeten Bosniaken (Muslime), teilzunehmen.

Mit Flaschen und Steinen beworfen

Vucic ist bei der Gedenkfeier in Potocari angegriffen und von einem Stein am Kopf getroffen worden. Das meldete die serbische staatliche Presseagentur Tanjug unter Berufung auf serbische Delegationsquellen. Vucics Brillen seien zerbrochen worden, berichtete die Presseagentur ohne weitere Angaben zu einer eventuellen Kopfverletzung des Regierungschefs.

Tumulte bei Gedenkfeier
Tumulte bei Gedenkfeier © APA/EPA/VALDRIN XHEMAJ

Laut Tanjug waren Steine, Flaschen und Schuhe auf Vucic geworfen worden. Im Versuch, ihn vor den aufgebrachten Menschen zu schützen, hätten sich seine Bodyguards gegen einige Angreifer gestellt. Auch habe man versucht, den Premier mit geöffneten Panzertaschen in Schutz zu nehmen, so Tanjug.

Polizei musste eingreifen

Die Polizei habe eingegriffen, die serbische Delegation sei evakuiert worden, hieß es bei der serbischen Presseagentur unter dem Hinweis, dass Vucic bereits wieder nach Belgrad unterwegs sei.

Vucic hat unterdessen gelassen auf die gegen ihn gerichtete Attacke reagiert. "Meine Hand bleibt weiter ausgestreckt", sagte der Politiker am Samstag in Belgrad nach einer Sondersitzung der Regierung. Der Angriff sei nicht von den Angehörigen der Opfer im Bosnien-Krieg (1992-95) organisiert worden. Bei einer Pressekonferenz in Belgrad rief er erneut zur Versöhnung zwischen Serben und Bosniaken (Muslimen) auf. Der Ministerpräsident machte drei Gruppen von Fußball-Schlachtenbummlern für den Angriff verantwortlich, von welchen eine, die ihn allerdings nur beschimpft hatte, aus Serbien angereist sei. 

Die Situation wurde schließlich durch eine kurze Ansprache des bosnischen Großmuftis Hussein Kavazovic beruhigt. Er appellierte an die Masse, ihre Aufmerksamkeit der Beisetzung von 136 Opfern zu widmen und nicht den Delegationen.

8000 Opfer

Zehntausende Menschen haben am Samstag im ostbosnischen Srebrenica der über 8000 Opfer des Völkermordes vor 20 Jahren gedacht. Zahlreiche Staats- und Regierungschefs der Region erwiesen den Opfern dieses größten Kriegsverbrechens nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa die letzte Ehre.

Tiefe Trauer, bewegende Bilder aus Srebrenica
Tiefe Trauer, bewegende Bilder aus Srebrenica © AP

Die ostbosnische Stadt Srebrenica gedenkt am Samstag des 20. Jahrestages des von bosnisch-serbischen Truppen im Juli 1995 angerichteten Massakers an der bosniakischen (muslimischen) Stadtbevölkerung. Im Rahmen der Gedenkveranstaltung werden auf dem Friedhof im unweit gelegenen Potocari 136 neu identifizierte Opfer des Völkermords beigesetzt. Bereits 6241 Opfer sind hier bereits bestattet.

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Premier verurteilt "schreckliches Verbrechen"

Es gebe kein Wort, mit welchem man Mitleid und Trauer für die Opfer sowie Wut über diejenigen bekunden könne, welche das monströse Verbrechen angerichtet hätten, sagte Vucic zuvor in einem Schreiben an die Öffentlichkeit.

"Von Serbien wird das schreckliche Verbrechen klar und unzweideutig verurteilt. Es ekelt sich vor denjenigen, die daran beteiligt waren und wird fortfahren, sie der Justiz zuzuführen", unterstrich Vucic. Es sei seine Pflicht, sich vor den Opfern zu verneigen. Dies sein ein zukunftsbestimmender Akt. "Unsere gemeinsame Zukunft kann nicht persönlichem und nationalem Egoismus geopfert werden", meinte der Regierungschef.

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Zahlreiche internationale Gäste - darunter die Präsidenten Sloweniens, Kroatiens, Montenegros und Mazedoniens sowie die EU-Außenpolitikbeauftragte Federica Mogherini und Ex-US-Präsident Bill Clinton - werden zu der Gedenkfeier erwartet. Erstmals soll mit Aleksandar Vucic auch ein serbischer Regierungschef dabei sein. Das Massaker von Srebrenica gilt als das schlimmste Kriegsverbrechen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Kurz vor dem Ende des Bosnien-Krieges verschleppten und ermordeten bosnisch-serbische Truppen nach der Einnahme der UNO-Schutzzone Srebrenica am 11. Juli 1995 rund 8000 bosniakische Männer und Buben vor den Augen der dort stationierten niederländischen "Blauhelme".

Bisher 37 Verurteilungen

Vor dem UNO-Tribunal für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien (ICTY) und dem für Kriegsverbrechen zuständigen Gericht Bosnien-Herzegowinas sind bisher 37 Personen verurteilt worden, davon 14 in Den Haag und 23 in Sarajevo.

Das Haager Gericht, dass 2004 zum ersten Mal das Massaker als Völkermord bezeichnet hatte, verhängte bisher drei lebenslange Haftstrafen, weitere elf Angeklagte wurden zu insgesamt 190 Jahren verurteilt, berichtete der TV-Sender RTBVBIH am Samstag. In Sarajevo wurden 23 Angeklagte zu insgesamt 440 Jahren Haft verurteilt.

Vor dem Haager Gericht sind die Prozesse gegen die beiden Hauptangeklagten, den ehemaligen Präsidenten der Republika Srpska, Radovan Karadzic, und seinen Militärchef Ratko Mladic, noch im Gang.