"Vor einem Jahr ging es uns besser: Die ganze Welt sorgte sich um den Gazastreifen, heute schaut keiner mehr hin." In den Trümmern seines Hauses, von israelischen Panzern zusammengeschossen, kann sich Rabah Abu Shanab einfach nicht beruhigen. Der Krieg hat ihm vor einem Jahr alles genommen. Und seitdem ändere sich nichts, "höchstens zum Schlimmeren", schimpft der 57-jährige Palästinenser.

In Shejaya, einem stark zerstörten Viertel von Gaza, sitzt er auf einem Plastikstuhl in seinem früheren Wohnzimmer, heute eine Betonplatte, aus der verbogene Moniereisen ragen. Um ihn herum liegen Steinhaufen, aus denen hier der Zipfel eines rosafarbenen Rucksacks ragt, dort eine zerrissene Krankenakte oder ein einzelner Halbschuh, den eine Frau einst an Festtagen trug.

Der 18-jährige Mohammed sammelt auf seinem Eselskarren Betonteile und Metallreste ein "um meine jüngeren Geschwister durchzubringen", wie er sagt. Pro Ladung bekommt er zehn Schekel (2,50 Euro) von einem Wiederverwerter, denn Materialien für den Wiederaufbau sind knapp und werden von Israel erst seit kurzem wieder in nennenswerten Mengen durch den einzigen Güterkontrollpunkt gelassen.

Die militärische Eskalation, die in der Nacht zum 8. Juli 2014 begann und erst 50 Tage später in einer Feuerpause ohne nachhaltige Abmachungen endete, war der zerstörerischste von drei kriegerischen Konflikten im Gazastreifen binnen sechs Jahren. "Für uns ist Krieg jetzt zum Alltag geworden", sagt der 20-jährige Jahya Sasa. "Wir wissen, dass wir keinerlei Zukunft haben."

Im dichtbevölkerten Gazastreifen, in dem seit acht Jahren die islamistische Hamas herrscht und der deshalb von Israel strikt abgeriegelt wird, liegt die Wirtschaft nicht nur aufgrund der Kriege brach. Auch Warenexporte sind kaum möglich. Die Arbeitslosenquote in dem kleinen Palästinensergebiet sei mit 43 Prozent "wahrscheinlich die höchste weltweit", berichtete im Mai die Weltbank.

Der letzte Krieg, so versichert Robert Turner, Einsatzleiter des UN-Hilfswerks für palästinensische Flüchtlinge in Gaza, habe vor allem die Moral der 1,8 Millionen Bewohner zerstört: "Sie glauben nicht mehr an ein besseres Leben für ihre Kinder und daran, dass sie jemals ein normales Leben werden führen können."

Jeder zweite Einwohner der Enklave will heute auswandern, wie im Juni eine Umfrage der Konrad-Adenauer-Stiftung ergab; das seien so viele wie noch nie. Deshalb sind auch zunehmend Bewohner des Gazastreifens unter den Bootsflüchtlingen auf dem Mittelmeer.

Dabei hatte die Hamas, als Ende August die Waffen endlich schwiegen, ihren "Sieg" im Kampf gegen die Blockade verkündet. Darauf angesprochen, lächeln die Gazaner heute nur gequält: Am scharfen Grenzregime für Personen und Güter änderte sich nichts, See- und Luftwege bleiben komplett blockiert; auch Ägypten lässt Menschen nur tröpfchenweise ein- und ausreisen.

Auch Israel erklärte zugleich seine Kriegsziele für erreicht: Die Angriffstunnel seien zerstört und der Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen unterbunden. Doch sporadisch feuern radikale Gruppen bereits wieder Raketen über die Grenze. Islamistische Milizen laden zugleich die internationale Presse ein, ihre neuen Tunnelbauten zu besichtigen.

Die von der gemäßigten Fatah-Partei dominierte Autonomiebehörde in Ramallah, der die zunehmend populäre Hamas im Jahr 2007 bei innerpalästinensischen Kämpfen die Macht im Gazastreifen entriss, ist dort weiter zum Zuschauen verurteilt. Dass diese international anerkannte Regierung ihre Rolle nicht ausübt, ist ein Hauptgrund für die Verschleppung des Wiederaufbaus.

Essam Yunis, bekannter Menschenrechtsanwalt in Gaza, fürchtet das Schlimmste: "Wie Versuchskaninchen werden die Menschen hier behandelt. Zu Erniedrigung mischt man Einsperrung und wartet, was passiert. Das wird gefährlich, denn die Leute gären vor Wut."