Der 88-Jährige richtete sich in einer 25-minütigen Ansprache an sein Volk. Das Land sei in einer schwierigen Lage und es sei notwendig, ausländische Investoren anzuziehen, fügte er hinzu. "Aber investitionsfreundliches Klima haben wir zur Zeit nicht."

Bevor der Präsident ans Redepult trat, strahlte das Staatsfernsehen einen hoffnungsvollen Werbespot aus. Gezeigt wurden Menschen aus aller Welt, aus Kuala Lumpur in Malaysia, aus Malmö in Schweden, aus Lille in Frankreich, aus Chile und England. Sie alle haben dieselbe Botschaft: "Tunesien, wir lieben Dich." Dieses Filmchen steht in einem krassen Kontrast zu der Situation, in der sich das nordafrikanische Land befindet: Weil ein junger Islamist vor gut einer Woche 38 Urlauber in einem Badeort erschoss, wird nun der Ausnahmezustand verhängt.

Der tunesischer Student hatte am Freitag vergangener Woche an einem Strand in Port El Kantaoui nahe Sousse 38 Menschen erschossen, darunter 30 Briten und zwei Deutsche. Das Attentat auf die Anlage des Hotels Riu Imperial Marhaba war das bisher blutigste in der Geschichte Tunesiens. Seit dem Sturz des ehemaligen Staatschefs Zine El Abidine Ben Ali 2011 ist die islamistische Gewalt in dem nordafrikanischen Land auf dem Vormarsch, viele junge Tunesier schließen sich offenbar aus Frust über mangelnde Perspektiven Extremisten an.

Durch den Anschlag hat Tunesien massiv an Vertrauen verloren - schon wieder. Denn dass genau 100 Tage nach der Attacke auf das berühmte Bardo-Museum in Tunis mit mehr als 20 Toten erneut ein Attentäter Ausländer angreifen kann - diesmal in einer der vermeintlich gut gesicherten touristischen Zone der Stadt Sousse - hat Reiseveranstalter zurückschrecken lassen. Einige europäische Länder haben ihre Reisehinweise verschärft.

Besorgniserregend sind auch Ermittlungsergebnisse, wonach der Täter von islamistischen Milizen in Libyen trainiert worden sein soll. Erst am Samstag gab Ministerpräsident Habib Essid zudem zu, die Polizei habe zu langsam gehandelt. "Die Zeit der Reaktion - das ist das Problem", sagte er dem Nachrichtensender BBC. Der Islamist hatte eine halbe Stunde lang um sich geschossen, bevor er selbst erschossen wurde.

Die Folgen für den Tourismus - von dem immerhin rund 400.000 Menschen im Land leben - sind in der vergangenen Woche sehr deutlich geworden. Hoteliers aus Sousse meldeten einen Einbruch der Buchungen um rund 40 Prozent. Mehrere Tausend Urlauber wurden ausgeflogen, angekommen sind laut Medienberichten nur wenige Dutzend.

So verwies Essebsi in seiner Rede auch auf die schlimmer werdende Wirtschaftskrise. Das Land sei in einer schwierigen Lage und es sei notwendig, ausländische Investoren anzuziehen, betonte er. "Aber ein investitionsfreundliches Klima haben wir zur Zeit nicht."

Um die Tourismussaison, die gerade erst begonnen hat, noch zu retten, hat die Regierung kurzerhand die Ausreisesteuer für ausländische Gäste wieder abgeschafft. Diese war erst im Oktober 2014 in Kraft getreten und betrug 30 Tunesische Dinar (rund 13 Euro). Doch helfen dürfte dies dem Land kaum. So scheint das Kalkül der Jihadisten aufzugehen: Chaos stiften, die Wirtschaftskrise verschärfen, um der jungen Demokratie zu schaden.

Die salafistische libysche Gruppierung steht auf der Terrorliste der USA, weil sie an dem Angriff auf das US-Konsulat in Benghazi beteiligt gewesen sein soll, bei dem im September 2012 der Botschafter Christopher Stevens getötet wurde. Auch eine tunesische Gruppe des Namens ist in Libyen aktiv.

Der neuen tunesischen Verfassung zufolge darf der Präsident den Ausnahmezustand im Falle einer akuten Bedrohung des Staates nach Beratungen mit dem Regierungschef und dem Parlamentspräsidenten verhängen. Allerdings darf er in einer solchen Extremsituation nicht das Parlament auflösen. 30 Tage nach Verhängung des Ausnahmezustands dürfen der Parlamentspräsident oder mindestens 30 Parlamentarier das Verfassungsgericht anrufen, um die Maßnahme zu überprüfen. Eine Verfassungsgericht gibt es in Tunesien allerdings noch nicht. Es soll noch heuer aufgebaut werden.

Die Regierung geht nach dem Anschlag bei Sousse auch massiv gegen Hassprediger vor. Laut Staatsmedien sollen bis Sonntag die rund 80 Moscheen, die nicht unter staatlicher Kontrolle stehen, geschlossen sein. In Tunesien wurde 2011 der autoritäre Langzeitmachthaber Zine el Abidine Ben Ali gestürzt. Durch die Unruhen in der Region nehmen islamistische Übergriffe seither immer weiter zu.

Als einziges arabisches Land und Ursprungsland des "Arabischen Frühlings" brachte Tunesien nach der Jasminrevolution 2010/11 seine Demokratisierung voran. Dazu trug die Bereitschaft der Islamistenpartei Ennahda bei, nach einem ersten Wahlsieg die Macht wieder abzugeben, als sie nach der Ermordung zweier Oppositioneller mutmaßlich durch Islamisten unter massivem Druck geriet. Das stark von Europa beeinflusste kleine Urlaubsland am Mittelmeer geriet damit aber ins Visier militanter Islamisten. Anfang 2014 trat eine neue Verfassung in Kraft. Zum Jahresende wurde der säkulare Kandidat Essebsi zum Präsidenten gewählt. Der parteilose Ökonom Habib Essid ist seit Februar Regierungschef.

Die massiven wirtschaftlichen und sozialen Probleme wurden aber nicht gelöst. Mehr als 15 Prozent der elf Millionen Tunesier sind arbeitslos. Dazu kommen der inländische Terrorismus und eine militärische Bedrohung durch islamistische Milizen, die von Libyen oder Algerien aus operieren. Rund 3.000 Tunesier kämpfen nach Angaben der Regierung in den Reihen der Terrormiliz Islamischer Staat, die in Syrien und im Irak ein Kalifat ausgerufen hat und der sich Terrorgruppen von Libyen über Ägypten bis Afghanistan angeschlossen haben.