Ein halbes Jahr fruchtlose Verhandlungen der Eurozone mit Griechenland und der Zick-Zack-Kurs des unberechenbaren Premiers Alexis Tsipras haben zu einer verfahrenen Situation und großteils Ratlosigkeit in der Währungsunion geführt. Die Drohungen eines Grexit - also eines Ausscheidens Griechenlands aus der Eurozone - stellten sich als Luftblase ohne vertragliche Grundlage heraus.

Ein Nein der Bevölkerung zu den Sparauflagen bei dem Referendum am Sonntag würde am Montag zu einem absoluten Neuland innerhalb der Europäischen Union führen. Da weder ein Rausschmiss eines Mitgliedslandes aus der Eurozone noch aus der EU vertraglich vorgesehen ist, könnte Griechenland als eine Art "lästiger Untermieter" auch bei Nichterfüllung seiner Verpflichtungen weiter agieren.

Andererseits ist in diesem Fall die Lage für das schwer verschuldete südliche Euro-Land selbst als keineswegs rosig zu bezeichnen. Es gibt bereits Kapitalverkehrskontrollen, die die Bevölkerung schwer treffen, da nur 60 Euro pro Tag von den Bankomaten abgehoben werden dürfen. Außerdem kann sich Griechenland ohne EU-Hilfe nur mehr kurze Zeit über Wasser halten. Es kommen nicht nur die Rückzahlungen von Krediten an IWF oder EZB auf Athen zu, sondern auch die ganz normale Begleichung der Ausgaben für Pensionen oder Beamte. Dafür reicht das Geld offenbar nicht über den Juli hinaus.

Trotzdem Hilfszahlungen?

Gleichzeitig gibt es in der EU Stimmen, die im Notfall die griechische Bevölkerung nicht den Bach hinuntergehen lassen will und Hilfszahlungen für Krankenhäuser und Medikamente in den Raum stellt. Wie lange - im Fall eines Nein beim Referendum - die Regierung von Premier Alexis Tsipras dann allerdings bei einer sich dauernd verschlechternden Wirtschaftslage des Landes und zu erwartenden Massendemonstrationen durchhält, lässt sich nicht genau sagen.

Im anderen Fall - die Bevölkerung sagt Ja zu den Sparauflagen der internationalen Gläubiger - sind die Folgen zwar ebenfalls nicht unkompliziert, aber nach einem Rücktritt der Regierung Tsipras ergäbe sich eine völlig neue Situation. Ob dann - auch noch vor Neuwahlen - eine Vereinbarung der Eurogruppe mit Griechenland im Sinn einer Brückenfinanzierung erfolgt, ist nicht ausgeschlossen. Eine dann neue griechische Regierung, der Tsipras nicht mehr angehört, dürfte es bedeutend leichter haben, mit der Eurozone zu einer Vereinbarung über ein neues drittes Hilfsprogramm der EU zu kommen.

Zurückhaltung

Bis Sonntag wird es noch zahlreiche Spekulationen über den Ausgang des Referendums geben. Jedenfalls haben EU-Kommission und Eurozone sich Zurückhaltung auferlegt. Man will die Abstimmung abwarten. Dass gleich Anfang kommender Woche ein Euro-Gipfel einberufen wird, ist wahrscheinlich. Wobei aber Diplomaten in Brüssel darauf verwiesen, dass es nicht notwendig sei, aufgeregt zu agieren. Es gelte, den Sonntag einmal abzuwarten.

Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem hatte zuletzt erklärt, bei einem Nein der Bevölkerung sei "sehr fraglich, ob es überhaupt eine Basis für Griechenland in der Eurozone gibt". Er sprach von einer "äußerst ernsten Lage". EU-Parlamentarier wiederum meinten, die derzeitige Krise habe gezeigt, dass eine Vertragsänderung notwendig wäre. Wenn die Regierung eines Landes, wie in diesem Fall Griechenland, nicht guten Willens sei und destruktiv agiere, sei dies eine Situation, die von den Gründervätern der EU nicht in Betracht gezogen worden sei. Eine Gemeinschaft nur auf Vertrauen aufzubauen, ohne Sanktionen für Missbrauch in den Verträgen zu haben, um im äußersten Notfall auch einen Rausschmiss verhängen zu können, sei zu wenig. Wenn jeder Staat so wie Griechenland agiere, "wäre Europa kaputt", so die deutsche EU-Parlamentarierin Angelika Niebler (CDU).