„Ich bin heutzutage nicht mehr der letzte Diktator Europas, sondern das kleinere Übel“: So beschrieb sich Alexander Lukaschenko, seit 21 Jahren ohne Unterbrechung in Weißrussland an der Macht, vor nicht allzulanger Zeit sehr treffend selbst – und mit einem Seitenhieb auf den russischen Präsidenten Waldimir Putin. Dass ein Polit-Saurier wie Lukaschenko den Gang der Dinge einzuschätzen weiß, zeigte der gestrige Besuch des österreichischen Außenministers Sebastian Kurz beim schnauzbärtigen Autokraten in Minsk.

Von der EU wegen der Unterdrückung der Opposition mit Sanktionen belegt, hatte Lukaschenko in den vergangenen Jahren zunehmend einsam vor sich hinregiert. Besuch aus dem Westen kam selten, dafür verstärkten sich die Bande nach Russland. Doch der Krieg in der Ukraine hat vieles verändert. „Ich nehme eine Erwärmung in den Beziehungen Weißrusslands zum Westen wahr“, analysierte Lukaschenko – des Besuch der von Sebastian Kurz werde ein Meilenstein in dieser Entwicklung sein. „Es geht darum, alle einzubinden“, sagte der Außenminister. Abschottung führe zu nicht, nur ein Ende des Blockdenkens könne zu Stabilität führen.

Kurz in Minsk
Kurz in Minsk © (c) AUSSENMINISTERIUM/DRAGAN TATIC (DRAGAN TATIC)

Lukaschenko verstand es in der Vergangenheit recht geschickt, die Balance zwischen Russland und dem Westen zu seinen Gunsten auszupendeln. In der Ukraine-Krise gelang es ihm, die Verhandlungen über eine Waffenruhe und einen Friedensplan nach Minsk zu holen – der Diktator mutierte plötzlich zum Vermittler, der westliche Größen wie Angela Merkel und Francois Hollande in seinem glänzenden Marmorpalast empfangen konnte.

Positive Dynamik mit Weißrussland

Kurz zuvor, am 1. Jänner, war Weißrussland der „Eurasischen Union“ beigetreten, Wladimir Putins Prestige- und Konkurrenzprojekt zur EU im Raum der ehemaligen Sowjetunion. Tatsächlich hat die Europäische Union angesichts der Ukraine-Krise begonnen, ihre Nachbarschaftspolitik im Osten zu hinterfragen. „Sie muss flexibler und für jedes Land maßgeschneidert sein“, so Kurz. So soll es beispielsweise für Weißrussland künftig die Möglichkeit geben, Euro-Bonds in Anspruch zu nehmen – für die Union geht es darum, Minsk nicht in immer tiefere Abhängigkeit zu Russland gleiten zu lassen. „Weißrussland muss auch im Westen Ansprechpartner haben“, unterstrich Kurz nun bei seinem Besuch in Minsk.

Kurz sieht eine positive Dynamik in den Beziehungen Weißrusslands zum Westen, die er mit seiner Reise unterstützen möchte, etwa die Zusage Lukaschenkos, die nächsten Präsidentschaftswahlen im November von der OSZE überwachen zu lassen.

Reformen in Minsk erwartet

Einfach wird eine Annäherung Weißrusslands an den Westen dennoch nicht werden. „Entschiedenere Schritte in Bezug auf die bürgerlichen Freiheiten und die Menschenrechte sind Voraussetzung“, sagte Kurz. „Wir sind bereit, hier konkrete Schritte zu setzen, wenn auch die andere Seite konkrete Schritte setzt“, sagte der weißrussische Außenminister Wladimir Makei zur von Kurz vorgebrachten Forderung, politische Gefangene freizulassen und die Todesstrafe abzuschaffen oder auszusetzen. Makei sprach damit die Sanktionen an, die in Weißrussland von vielen als überzogen betrachtet werden. Gleichzeitig spricht man in Minsk hinter vorgehaltener Hand auch von sehr starkem Druck aus Moskau, sich den Gegensanktionen, die Russland gegen Europa verhängt hat, anzuschließen. Bisher widersetzt Lukaschenko sich diesen Wünschen – zur „Strafe“ erntete man bereits Schwierigekeiten beim Lebensmittelexport nach Russland.

Begrüßung in Minsk
Begrüßung in Minsk © (c) AUSSENMINISTERIUM/DRAGAN TATIC (DRAGAN TATIC)

Kurz nutzte den besonderen Zeitpunkt seiner Reise wenige Tage vor dem 70. Jahrestag des Weltkriegsendes, um der Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken. Weißrussland hat während des Krieges jeden dritten seiner Bürger verloren. Am feierlich beflaggten „Platz des Sieges“ legte der Außenminister am Grab des unbekannten Soldaten einen Kranz nieder, zuvor besuchte er im ehemaligen Minsker Ghetto den Gedenkstein für die österreichischen Juden, die von den Nazis nach Weißrussland deportiert und hier ermordet worden waren.