Nach dem tödlichen Ende der Geiselnahme in Istanbul hat die türkische Polizei am Mittwoch mehr als 60 Menschen festgenommen. Bewaffnete stürmten unterdessen ein Büro der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP in Istanbul. Die Polizei habe die beiden Angreifer in dem Parteibüro festgenommen, meldete die Nachrichtenagentur DHA. In anderen Berichten war von einem Angreifer die Rede.

Wie die Agentur Anadolu berichtete, wurden im südtürkischen Antalya 19 mutmaßliche Linksextremisten in Gewahrsam genommen. In den westtürkischen Städten Izmir und Eskisehir kamen jeweils fünf Menschen in Haft. Bei einer weiteren Polizeiaktion in Istanbul nahmen die Behörden 36 Studenten fest, die an einer Gedenkfeier für einen der Geiselnehmer teilgenommen hatten.

Die Istanbuler Justiz nahm am Mittwoch mit einer Trauerfeier im Gerichtsgebäude im Istanbuler Stadtteil Caglayan Abschied von dem bei der Geiselnahme getöteten Staatsanwalt. Zwei Mitglieder der verbotenen linksradikalen Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) hatten ihn am Dienstag in dem Gerichtsgebäude in ihre Gewalt gebracht.

Gefälschte Ausweise

Laut Anadolu konnten sie mit ihren Waffen ins Büro des Juristen vordringen, weil sie sich mit Roben und gefälschten Ausweisen als Anwälte ausgaben; Anwälte, Staatsanwälte und Richter dürfen anders als normale Besucher das Gerichtsgebäude betreten, ohne einen Metalldetektor zu durchlaufen.

Der Staatsanwalt konnte über einen Alarmknopf noch Hilfe rufen, doch die Angreifer verschlossen die Bürotür und setzten ihm eine Pistole an die Schläfe. Nach rund achtstündigen Verhandlungen zwischen Tätern und Behörden stürmte die Polizei das Büro und erschoss die beiden Geiselnehmer. Der Staatsanwalt wurde schwer verletzt und starb wenig später auf dem Weg ins Krankenhaus.

Die private Nachrichtenagentur Dogan meldete, es gebe Hinweise, wonach die DHKP-C in Antalya ähnliche Aktionen wie in Istanbul plane. Laut Anadolu wurden bei den Festnahmen in Izmir auch Patronen für Schusswaffen gefunden.

Die DHKP-C ist für Anschläge gegen staatliche Einrichtungen bekannt. Mehrmals hat die Organisation dabei Selbstmordattentäter eingesetzt, so auch bei einem Anschlag auf die US-Botschaft in Ankara im Jahr 2013, bei dem der Täter einen Wachmann mit in den Tod riss.

Ermittlungen

Der nun ums Leben gekommene Staatsanwalt hatte wegen des Todes von Berkin Elvan ermittelt. Der 14-Jährige war im Jahr 2013 während der Gezi-Unruhen in Istanbul von einer Tränengaskartusche der Polizei am Kopf getroffen worden und nach monatelangem Koma im März 2014 gestorben. Die Geiselnehmer des Staatsanwaltes hatten von den Behörden gefordert, sie sollten die Namen jener Polizisten veröffentlichen, die als Verantwortliche für den Tod des Jugendlichen infrage kommen.

Die Geiselnahme könnte den Graben zwischen der türkischen Regierung und ihren Kritikern weiter vertiefen. Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte Berkin Elvan als mutmaßlichen Terroristen bezeichnet; zudem nannte der heutige Staatschef die Mitglieder der Gezi-Protestbewegung mehrmals "Vandalen".

Die Erdogan-treue Zeitung "Vakit" titelte am Mittwoch, die Gezi-Bewegung habe den Staatsanwalt getötet. Gegner des Präsidenten beklagen dagegen, dass die Behörden die Suche nach den Verantwortlichen für den Tod von Berkin Elvan bewusst verzögerten.

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