Am 7. März 1965 knüppelten weiße Polizisten in Selma, Alabama, friedliche schwarze Demonstranten nieder, die ihr Wahlrecht einforderten. Der "Blutige Sonntag" war ein Wendepunkt in der Bürgerrechtsbewegung der USA.

Sie hatten ihre besten Kleider angezogen an jenem Sonntagmorgen im Jahr 1965. Alle sollten sehen, dass Schwarze, die ihre Bürgerrechte einfordern, kein gewalttätiger Mob sind. Die etwa 600 Demonstranten wollten am 7. März von der Stadt Selma ins 80 Kilometer entfernte Montgomery, die Hauptstadt des US-Bundesstaates Alabama marschieren. Doch ihre Demonstration für Gleichberechtigung wurde von der weißen Südstaatenpolizei brutal niedergeschlagen.

Gedenken in Montgomery

Gut 50 Jahre später besucht der erste afroamerikanische US-Präsident die Stadt. Politiker, Aktivisten und Tausende Bürger erinnern am Samstag an den "Blutigen Sonntag" in Selma, darunter Barack Obama und Ex-Präsident George W. Bush. Für viele Afroamerikaner war Obamas Wahl ins Weiße Haus ein Riesenschritt nach vorne.

"Wir dürfen nicht vergessen, dass die Narben und der Schandfleck des Rassismus noch tief in der amerikanischen Gesellschaft nachwirken", sagt der Bürgerrechtler John Lewis, der am 7. März 1965 in der ersten Reihe der Demonstranten stand, zu "USA Today". "Wir haben noch einen langen Weg vor uns. Wir haben unser Ziel noch nicht erreicht." Der 75-Jährige ist heute Kongressabgeordneter der Demokraten.

Von den insgesamt 535 Abgeordneten waren 2014 nur 46 schwarz. Seit 2010 haben einige von den Republikanern regierte Bundesstaaten neue Wahlgesetze eingeführt, die nach Meinung von Kritikern ethnischen Minderheiten, Studenten oder Armen - die meistens die Demokraten wählen - den Gang zur Urne erschweren. 2013 kippte der Oberste Gerichtshof Teile des Wahlrechtsgesetzes, das Diskriminierung in bestimmten US-Staaten verhindern sollte.

Noch immer erleben viele diese Diskriminierung täglich. Im vergangenen Jahr etwa kochte die Wut der schwarzen Bevölkerung nach den tödlichen Polizeischüssen auf einen schwarzen Teenager in Ferguson, Missouri, über. Es war kein Einzelfall, so die Meinung vieler Afroamerikaner.

Auch nach 50 Jahren noch Kämpfe

"Dass wir 50 Jahre später diese Kämpfe neu austragen müssen, wirft für mich die Frage auf, wie weit wir tatsächlich gekommen sind", sagte Harriet Richardson 2013 der Deutschen Presse-Agentur. Die Afroamerikanerin war in Montgomery mit dabei. Damals Studentin in Pennsylvania, reiste sie nach dem "Blutigen Sonntag" nach Alabama, um mitzuprotestieren.

Hundert Jahre nach dem Ende des Bürgerkrieges in den USA war die Segregation von Schwarzen und Weißen fester Bestandteil des Lebens in den Südstaaten. So verwehrten etwa die Behörden Alabamas Afroamerikanern die Eintragung in die Wahlregister. Dagegen marschierten die Aktivisten, die schwarzen Männer und Frauen aus Selma, im März 1965.

Doch sie kamen nicht weit. Auf der Edmund-Pettus-Brücke erwarteten sie berittene Polizisten, bewaffnet mit Knüppeln. Weiße standen am Straßenrand, sie beschimpften und bespuckten ihre schwarzen Mitbürger. Als sich die Protestführer, die Bürgerrechtler John Lewis und Hosea Williams, weigerten, den Marsch abzubrechen, befahl Sheriff Jim Clark den Angriff. Inmitten von Tränengaswolken knüppelten die Polizisten die fliehenden und schutzlosen Menschen nieder. "Ich dachte, ich würde auf dieser Brücke sterben", erinnert sich Lewis. Dutzende wurden verletzt, einige schwer.

"Selma" im Kino

Und ganz Amerika sah zu - das Fernsehen war mit dabei. Die Szenen, die in dem Hollywoodstreifen "Selma" derzeit in den Kinos wieder zum Leben erweckt werden, riefen landesweit Empörung hervor. Tausende Aktivisten, Studenten, Vertreter aller Kirchen und Hautfarben kamen nach Selma für weitere Proteste. Einen weiteren Marsch am 9. März brach Bürgerrechts-Ikone Martin Luther King trotz Kritik aus den eigenen Reihen ab, doch der Druck auf Washington zeigte Erfolg.

Präsident Lyndon B. Johnson versprach ein Gesetz, das für jeden Amerikaner das Wahlrecht gewährleistete. "Ihr Anliegen muss auch unser Anliegen sein. Denn nicht nur Neger, sondern wir alle müssen dieses lähmende Erbe von Bigotterie und Ungerechtigkeit überwinden", sagte er am 15. März im Kongress. Am 21. März marschierte King, beschützt von der Nationalgarde und FBI-Agenten, mit 25 000 Menschen nach Montgomery. Das Wahlrechtsgesetz, der Voting Rights Act, trat im August 1965 in Kraft. Johnson war der letzte US-Präsident, der Afroamerikaner in der Öffentlichkeit als "negroes" (dt: Neger) bezeichnete.

"Selma ist jetzt", sagte der Sänger John Legend bei der Oscar-Verleihung im Februar. Er hatte den Preis für den "Selma"-Song "Glory" gewonnen und erinnerte an die immer noch präsente Ungleichheit: Der Voting Rights Act, für den die Bürgerrechtler damals gekämpft hatten, sei heute in Gefahr. "Selma ist jetzt, weil der Kampf für Gerechtigkeit jetzt ist", sagte Legend. "Marschiert weiter!"