Nach der Zerstörung einzigartiger Kulturgüter im Irak durch die jihadistische Organisation "Islamischer Staat" (IS) hat UNESCO-Chefin Irina Bokova eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrates gefordert. "Dieser Angriff ist mehr als eine Kultur-Tragödie - dies ist auch eine Sicherheitsfrage, da er Sektierertum, gewaltsamen Extremismus und Konflikte im Irak schürt", erklärte sie.

"Anstacheln zu Gewalt und Hass"

Die Generaldirektorin der UN-Organisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur verurteilte die systematische Zerstörung irakischen Kulturguts als "gezielten Angriff auf die Jahrtausende alte Geschichte und Kultur des Iraks", ebenso wie als "Anstacheln zu Gewalt und Hass". Die Zerstörung der Kulturgüter ist nach den Worten des irakischen Antikenministers Adil Fahd Sharshab eines der größten Verbrechen der Gegenwart. Die Tat der IS-Jihadisten bedeute nicht nur für den Irak einen riesigen Verlust, sondern für die gesamte Menschheit, sagte er am Donnerstag irakischen Medien zufolge.

Die IS-Jihadisten hatten im Norden des Iraks einzigartige Kulturgüter aus altorientalischer Zeit zerstört. Ein Internetvideo der Extremisten zeigt, wie sie im Museum der Stadt Mossul und an der Grabungsstätte Ninive bedeutende Bildwerke aus der Antike zertrümmern. Auch Quellen vor Ort berichteten von der Zerstörung.

Unter den zerstörten Kulturgütern befand sich eine assyrische Türhüterfigur, die mehr als 2.600 Jahre alt ist. Die sunnitischen Extremisten zerstörten die Figur mit einem Presslufthammer. Unter den zerstörten Gütern sind auch zahlreiche weitere assyrische Statuen, teilweise größer als ein Mensch. Der etwa fünf Minuten lange Film zeigt, wie die IS-Anhänger im Museum von Mossul mit großen Hämmern auf die Stücke einschlagen oder sie umstürzen, so dass sie zu Bruch gehen.

Nach Einschätzung von Experten handelt es sich bei den zerstörten Statuen teils um Originale oder um Rekonstruktionen, teils um Kopien von Originalen. Demnach stammten die Statuen aus der Epoche der Assyrer und aus der antiken Stadt Hatra. Die Jihadisten sollen zahlreiche Kunstschätze aus Museen verkauft haben, um ihren Kampf zu finanzieren. Der Kriminologe und Archäologe Samuel Hardy äußerte den Verdacht, dass sie nur Statuen zerstörten, die zu groß waren, um sie zum Verkauf abzutransportieren.

Fall erinnert an Statuen in Bamian

Die altmesopotamische Stadt Ninive hatte im siebten Jahrhundert vor Christus als Hauptstadt des Assyrerreiches ihre Blütezeit. 612 vor Christus wurde der in der Bibel erwähnte Ort am linken Ufer des Tigris - gegenüber dem heutigen Mossul im Irak - zerstört. Seit den 1840er Jahren konnten Archäologen Teile einiger Tempel und Paläste wieder ausgraben. An den Eingängen der Paläste standen überlebensgroße Figuren. Die Stadtmauer soll 15 große Tore gehabt haben. Gut erhalten war das Nergal-Tor. Bedeutendste Funde waren ein Bronzekopf und eine Bibliothek aus mehr als 20.000 Tontafeln mit Keilschrift.

In dem Video erklärt ein IS-Anhänger, die Statuen hätten Assyrern und anderen Völkern der Vielgötterei gedient. Auch der Prophet Mohammed habe alle Götzenfiguren zerstört, als er nach Mekka gekommen sei. Die IS-Jihadisten berufen sich dabei auf eine Interpretation des Islams, die die bildliche Darstellung von Menschen und Gott verbietet.

Der Fall erinnert an die Buddha-Statuen von Bamian, die den Taliban in Afghanistan zum Opfer fielen. Am kommenden Sonntag vor genau 14 Jahren begann das damals in Kabul herrschende radikalislamische Regime damit, die beiden 38 und 55 Meter hohen Statuen aus dem 6. Jahrhundert zerstören zu lassen. Auch weltweite Proteste konnten die Taliban nicht stoppen. Die UNESCO erklärte die Überreste der Buddhas 2003 zum Weltkulturerbe. Die Statuen wurden nicht wiederaufgebaut.

IS-Kämpfer sprengten am Donnerstag außerdem die Khudr-Moschee im Zentrum von Mossul in die Luft, wie Augenzeugen und Wissenschafter sagten. Die Moschee aus dem 12. Jahrhundert beherbergte auch ein Grabmal. Wie andere radikale Islamisten lehnen die IS-Jihadisten die Verehrung von Gräbern als unislamisch ab. Der irakische Architekturprofessor Ihsan Fethi in Amman sprach von einem "furchtbaren Verlust und einem unglaublichen Akt des Kulturterrorismus".

Mehr assyrische Christen verschleppt

Unterdessen berichtete die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte, die Jihadisten hätten seit Montag im Nordosten Syriens deutlich mehr assyrische Christen verschleppt als bisher bekannt. Die IS-Miliz habe seit Montag in der Region Tall Tamer der Provinz Hasaka elf christliche Dörfer überfallen und mindestens 220 Menschen entführt, teilte die Beobachtungsstelle mit. Bei den Kämpfen seien 35 Jihadisten und 25 kurdische und assyrische Kämpfer getötet worden.

Laut der Beobachtungsstelle flog die internationale Militärallianz mehrere Luftangriffe auf IS-Stellungen rund um Tall Tamer. Angaben zu Opfern gab es nicht. Vor Beginn des Bürgerkriegs lebten in Syrien etwa 30.000 assyrische Christen, die meisten von ihnen in Hasaka.