Rezession, schwindende Währungsreserven und offene Gasrechnungen: Die von Kriegswirren im Osten geschüttelte Ukraine steht finanziell am Abgrund. Dies weiß auch Ministerpräsident Arseni Jazenjuk. Er hat sich bei der Parlamentswahl am 26. Oktober mit seiner Volksfront knapp als stärkste Kraft vor dem Block von Präsident Petro Poroschenko durchgesetzt und soll nun Wirtschaftsreformen umsetzen.

Die Ukraine hängt am Tropf der Europäischen Union und anderer internationaler Geldgeber, die ein 27-Milliarden-Dollar-Hilfspaket geschnürt haben. Doch wegen der konjunkturellen Folgen des bewaffneten Konflikts mit den pro-russischen Separatisten wird es womöglich nicht ausreichen, das Land über Wasser zu halten. Jazenjuk erwartet, dass sich die Wirtschaft erst 2016 wieder fängt und dann wieder wächst. Mittwoch trifft EU-Kommissar Johannes Hahn in Kiew ein. Er ist zuständig für das Verhältnis Ukraine-EU. 

Im Vorfeld machte der EU-Botschafter in Kiew deutlich, dass der Weg zu weiteren Hilfen nur über weitere Reformen führt: "Wir messen die Entschlossenheit der ukrainische Seite vor allem daran, wie etwas in die Tat umgesetzt wird, und nicht nur, welche Gesetze verabschiedet werden", betonte Botschafter Jan Tombinski. Dem Westen ist insbesondere die grassierende Korruption im Land und die schwerfällige Verwaltung ein Dorn im Auge. Probleme macht auch die veraltete Struktur des staatlichen Energiekonzerns Naftogaz, der für die Ukraine immer mehr zum Fass ohne Boden zu werden droht.

Laut Weltbank ist der Fehlbetrag in dem Unternehmen drei mal so hoch wie das Budgetdefizit des Landes. Mit Tariferhöhungen und einem Umbau des Konzerns könne die Regierung gegensteuern und "mehr als zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen", meint Weltbank-Experte Qimiao Fan. Naftogaz hängt wie ein Klotz am Bein der Regierung in Kiew, die heuer schon umgerechnet rund 5,1 Milliarden Euro in die Hand nehmen musste, um das Unternehmen mit der Ausgabe von Anleihen zu refinanzieren. Hinzu kommen offene Rechnungen für Gaslieferungen aus Russland in Milliardenhöhe, die bis Ende des Jahres fällig sind. Für neue Lieferungen im Winter verlangt das östliche Nachbarland mittlerweile Vorauszahlungen.

Auch der Militäreinsatz im Osten des Landes gegen die Separatisten reißt Löcher in die ohnehin klamme Staatskasse. All dies führte dazu, dass die Ukraine verstärkt auf ihre Devisen und Goldbestände zurückgreifen musste. Die Währungsreserven schmolzen im Oktober auf 12,6 Milliarden Dollar (10,14 Mrd. Euro) zusammen - der niedrigste Stand seit 2005. Innerhalb eines Monats wurde somit fast ein Viertel des Devisenschatzes aufgezehrt.

Die Landeswährung Hrywnja ist im freien Fall. Sie hat in diesem Jahr 83 Prozent ihres Außenwerts zum Dollar eingebüßt Überdies schwebt ein Milliarden-Kredit Russlands wie ein Damokles-Schwert über der Ukraine. Moskau pocht nach den Worten von Präsident Wladimir Putin zwar nicht auf eine vorzeitige Rückzahlung des drei Milliarden Dollar schweren Darlehens. Falls doch, wäre das Finanzsystems des Nachbarlandes in Gefahr, ließ Putin jüngst beiläufig wissen.