Erwiana Sulistyaningsih wollte nur, was Zehntausende andere Indonesierinnen auch tun: Sie verlassen ihre Familien, um im reichen Hongkong als Hausmädchen zu arbeiten. Doch vermögend wurde die damals 22-Jährige nicht. Stattdessen lag sie acht Monate später schwer verletzt im Spital. Ihre Arbeitgeberin hatte sie geschlagen, gedemütigt, oft bis zu 21 Stunden täglich arbeiten und hungern lassen.

"Gerechtigkeit for Erwiana"

Der Fall machte vor zwei Jahren weltweit Schlagzeilen. Tausende demonstrierten und forderten "Gerechtigkeit für Erwiana". Vor einem Jahr wurde ihre Arbeitgeberin zu sechs Jahren Haft und umgerechnet 1.700 Euro Strafe verurteilt. Das reiche aber nicht, sagt die misshandelte Indonesierin: "Wir geben zwar zu, dass Sklaverei in Hongkong existiert, aber die Regierung scheint das zu tolerieren."

Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen gehören Essensentzug, 17-Stunden-Arbeitstage, vorenthaltene Bezahlung, Schindereien, Schläge und Vergewaltigungen zum Berufsrisiko von ausländischen Hausangestellten in Hongkong. Die Indonesierin habe nicht einfach nur eine schlechte Arbeitgeberin erwischt. Der ganze "Migrationsprozess ist voller Falschheit und Missbrauch" und werde "unangemessen kontrolliert", schreibt Amnesty International in einem Bericht.

Wenn Hausangestellte im Ausland arbeiten wollten, können sie dies oft nur durch eine Arbeitsvermittlungsagentur tun. "Die meisten verlangen illegale oder übermäßig hohe Gebühren", sagt Anna Olsen von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Viele Frauen erhielten monatelang keinen Cent. Ihren Lohn müssten sie direkt an die Agentur abgeben. "Um sicherzustellen, dass sie das Geld zurückerhalten, zwingen einige Agenturen die Arbeiterinnen, hochverzinsliche Darlehen aufzunehmen, oder sie nehmen ihnen den Pass weg."

Moderne Sklaverei

"Für viele ist das moderne Sklaverei", sagt Olsen. "Denn so können Hausangestellte missbräuchlichen Arbeitsverhältnissen kaum entfliehen." Migrationsregeln wie in Hongkong, wonach Hausangestellte nach einer Kündigung innerhalb von zwei Wochen eine neue Stelle finden müssen, verschärften die Situation.

Die Branche zur Vermittlungen von Haushaltshilfen ist ein Milliardengeschäft, das mit der zunehmenden Überalterung wächst. Laut ILO gibt es weltweit mehr als 67 Millionen Hausangestellte, elf Millionen davon arbeiten im Ausland, meist in Asien.

Zwangsarbeit

Mindestens 3,4 Millionen müssten Zwangsarbeit leisten: Agenturen und Arbeitgeber stehlen dabei mehr als sieben Milliarden Euro pro Jahr, indem sie ihnen illegale Abzüge für Rekrutierungskosten verrechnen oder zu niedrige Löhne bezahlen, wie die ILO klagt. Ihre Herkunftsländer hängen von den Geldüberweisungen der Gastarbeiter im Ausland ab. In den Philippinen machen sie nach Angaben der Weltbank zehn Prozent des Bruttoinlandprodukts aus.

Seit mehr als einem Jahr versucht eine Vermittlungsagentur mit einem neuen Geschäftsmodell ein "gerechtes" Beispiel für Asien zu geben, wie ihr Gründer David Bishop sagt. Bei der "Fair Employment Agency" übernimmt der Arbeitgeber alle Kosten. Das verhindere einen Fall wie den von Erwiana Sulistyaningsih, sagt Bishop. Denn die Indonesierin floh vergeblich vor ihrer Arbeitgeberin - ihre Agentur brachte sie zurück, damit sie die Schulden abbezahlt.

"Fair Profit machen"

Bishop hofft auf ethische Arbeitgeber. Seit 2014 habe die Agentur mehr als 400 Angestellte vermittelt und die Regierungen von Singapur und Malaysia hätten Interesse an dem Modell gezeigt. "Wir wollen beweisen, dass man auch fair Profit machen kann", sagt Bishop. "Bis jetzt haben Regierungen Agenturen nicht richtig kontrolliert, da diese sagen, dass man dann nicht profitabel sein kann."

Hongkongs Regierung sagt, die Gesetze schützten die 330.000 ausländischen Hausangestellten in der asiatischen Metropole ausreichend. Sie garantierten ihnen einen Mindestlohn, Gesundheitsversicherung, wöchentlich einen freien Tag und Demonstrationsfreiheit, was sie in vielen Ländern nicht hätten.

Oft fehlen Beweise

"Aber es liegt ausschließlich an den Hausangestellten, Missbrauch zu melden", sagt Eni Lestari, Sprecherin der größten Vereinigung ausländischer Hausangestellter in Hongkong. Ein gerichtliches Vorgehen dauere oft mehrere Monate, was sich viele nicht leisten könnten. Oft fehlten auch die Beweise. "Alle wissen, wie schlimm die Lage ist", sagt die Abgeordnete Emily Lau Wai-hing. "Aber es fehlt der politische Wille, mehr zu tun."

"Es gibt keinerlei Beweise, dass Hongkong ein Ursprungs-, Ziel- oder Durchgangsort für Menschenhandel ist", beteuert ein Regierungssprecher. Dagegen will die Menschenrechtsgruppe Justice Centre im Februar "besorgniserregende" Beweise präsentieren. Die Organisation habe die erste repräsentative Studie zur Verbreitung von Zwangsarbeit unter Hausangestellten in Hongkong erstellt, berichtet Sprecherin Victoria Wisniewski Otero.

Kampf für die Gerechtigkeit

Ein aktuelles Beispiel ist der Gerichtsfall eines Pakistaners, der in einer Anhörung diese Woche klagt, dass die Hongkonger Regierung die Leidtragenden von Menschenhandel nicht ausreichend schützt. Seine Anwältin Patricia Ho sagt, ihr Klient sei ein solches Opfer. Er sei mit einem Visum für ausländische Hausangestellte nach Hongkong gebracht worden und habe vier Jahre Zwangsarbeit geleistet. Als er Hilfe bei den Hongkonger Behörden suchte, hätten diese keine Ermittlungen eingeleitet. "Mein Klient hofft, dass niemand mehr so behandelt wird", sagt Ho. "Er kämpft für Gerechtigkeit."