Sand, Soda und Pottasche. Und ein sehr langer Atem. Das sind die Hauptbestandteile der mundgeblasenen gläsernen Kugeln, die wir in wenigen Tagen wieder aus dem Keller holen und auf den Christbaum hängen. Das mag zwar schrecklich schmucklos klingen, aber es ist die Kunst der Glasbläser, die den Zutaten ihren Glanz verleiht.

Langer Atem: In einigen Glashütten der Stadt kann man den Glaskünstlern bei der Arbeit zuschauen. Oder selbst probieren, eine Kugel zu blasen
Langer Atem: In einigen Glashütten der Stadt kann man den Glaskünstlern bei der Arbeit zuschauen. Oder selbst probieren, eine Kugel zu blasen © KK

Jetzt gilt's: Das glühend rote Glasrohr dreht sich und wartet darauf, von einem kräftigen Luftstrom aus der Lunge zu einer Kugel geformt zu werden. Aber darauf kann es lange warten: Was beim Profi innerhalb weniger Sekunden eine runde Sache ist, mündet beim Laien in nicht annähernd runden Klumpen und einem gut gemeinten: "Das war für den Anfang gar nicht so schlecht." Oder jedenfalls könnte es das geheißen haben, denn der Dialekt, der in Lauscha gesprochen wird, ist eine richtig harte Nuss. Oder wissen Sie, was ein "Mellichstöck" ist?

In Stein gekleidet: Lauschas Lage im Schiefergebirge lässt sich an den fast schwarzen Schindeln auf Fassaden und Dächern ablesen
In Stein gekleidet: Lauschas Lage im Schiefergebirge lässt sich an den fast schwarzen Schindeln auf Fassaden und Dächern ablesen © (c) Jutta Adam - Fotolia

Aber wenn man das Handwerk hier nicht kann, wo dann? Ihr Glück macht die Stadt im Thüringer Wald seit mehr als 400 Jahren ganz und gar mit Glas und trägt eine geschmückte Tanne im Wappen. Noch heute lebt rund ein Drittel der Lauschaer Bevölkerung von diesem Handwerk. Gerade von den Weihnachtskugeln, die hier erfunden wurden.

Der lamettaumwobenen Legende zufolge soll ein armer Glasbläser 1847 seinen Baum zum ersten Mal mit Walnüssen und Äpfeln aus Glas geschmückt haben, weil er sich die echten Leckereien nicht leisten konnte. Verbrieft ist jedenfalls ein Auftrag eines seiner Kollegen aus dem folgenden Jahr, der sechs Dutzend Weihnachtskugeln in verschiedenen Größen an seine Kunden lieferte.

Schmuckes Erbe: Lauscha ist die Geburtsstadt des gläsernen Christbaumschmucks. 1847 entstanden hier die ersten Anhänger in der Form von Walnüssen und Äpfeln
Schmuckes Erbe: Lauscha ist die Geburtsstadt des gläsernen Christbaumschmucks. 1847 entstanden hier die ersten Anhänger in der Form von Walnüssen und Äpfeln © (c) © 2005 Jochen Keute, Frankfurt am Main

Jedenfalls hatten bis 1860 alle großen Kontore der nahen "Weltspielwarenstadt" Sonneberg den gläsernen Schmuck im Sortiment. Um 1880 schaffte die deutsche Glasbläserkunst schließlich den Sprung über den großen Teich: Frank Winfield Woolworth, Gründer der gleichnamigen Kaufhaus- und Supermarktkette, importierte die ersten Christbaumkugeln in die USA - um 1900 bestellte er schon 200.000 Stück.

Zu Zeiten der DDR bekamen die Genossen ob der devisenträchtigen Glasschmuckherstellung glitzernde Augen und stellten die Heimarbeit auf maschinelle Großproduktion um. Nach der Wiedervereinigung vollzogen die Glasbläser rasch wieder die Wende Richtung traditionelle Herstellung und krönen ihr Handwerk seit 1992 mit der alljährlichen Wahl zur Glasprinzessin. Laura II. trägt heuer hohlgeblasene und verspiegelte gläserne Zepter.

Hier wird Handwerk hochgehalten: Der Lauschaer Schmuck wird mit bis zu 100 Jahre alten Verfahren und nach traditionellen Formen hergestellt
Hier wird Handwerk hochgehalten: Der Lauschaer Schmuck wird mit bis zu 100 Jahre alten Verfahren und nach traditionellen Formen hergestellt © KK

Und ein Ende des gläsernen Zeitalters ist nicht in Sicht: Jedes Jahr beginnen in Lauscha bis zu 15 Jugendliche ihre Ausbildung zum Glasbläser. Auf dass es in der schiefergrauen Stadt am Rande des Thüringer Waldes weiter in knapp 300 Farben und Tausenden Formen funkelt.