Wir befinden uns im Jahr 2015. "So ein Sommer. Willkommen im Mittelpunkt der Lebensfreude", begrüßt das k & k Hofbeisl zu Ischl die Laufkundschaft. Der Wirt in Krachlederner und Bergschuhen stapft trittsicher durch den Gastgarten. Beim Hofkonditor Zauner an der Esplanade strahlt Frau Patrizia hinter der Mehlspeistheke, die Zaunerstollen um üppige 19 Euro das Stück, ursprünglich eine Restlverwertung für zerbrochene Oblaten, gehen weg wie die sprichwörtlichen warmen Kaisersemmeln. Es ist ein Irrglaube, es sei Kaiser Franz Josephs Lieblingskuchen gewesen, der ließ lieber täglich einen schlichten Gugelhupf anliefern, wenn er bei der Geliebten Katharina Schratt zum Tee vorbeischaute.

Ein Sehnsuchtsort

Was wäre Bad Ischl, ja, das ganze Salzkammergut ohne den letzten Kaiser, der Sommer für Sommer mit Hofstaat und Wienern besserer Gesellschaft im Schlepptau den Lebensmittelpunkt zwischen die Berge verlegte? Der Traum von Arkadien mit prächtiger Bergkulisse und glitzernden Seen, ein Sehnsuchtsort eben für die schönsten Wochen im Jahr, das konnte sich seinerzeit nur die Oberschicht leisten, der Adel, das Großbürgertum, angesehene Künstler, begnadete Denker. Heute kann jedermann an ihre Stelle treten und dabei gar unversehens auf Valentin Habsburg, den Ururenkel des Kaisers Franz Joseph stoßen, der gemeinsam mit seiner Mutter den Besichtigungsbetrieb Kaiservilla in Bad Ischl leitet.

Eigentlich tun die Feriengäste wieder das, was einst die ersten Sommerfrischler als Modeströmung in Gang setzten: "Sie kraxeln auf den Bergen herum, sportiver halt als früher, da sich die Sommerfrischlerinnen auf schwierigen Strecken tragen ließen", merkt der Bad Ischler Historiker Johann Ostermann an. Übrigens, der vornehmen Blässe wegen unternahmen die feinen Damen der Gesellschaft auch auf Bergeshöh keinen Schritt ohne ihren Sonnenschirm.

Auf den Almhütten einkehren, Milch und Käse genießen gehörte zum Programm der Sommerfrische, vermittelte den Herrschaften aus der Stadt das ersehnte romantische Naturgefühl, kraftstrotzende Jäger und dralle Sennerinnen schlüpften in diesem Landspektakel vorübergehend in Nebenrollen.

Zimmer mit Frühstück

Man unternahm Landpartien, kehrte in Ausflugsgasthöfen ein. Daran hat sich kaum etwas geändert. Überhaupt sei vieles schon länger da. So gebe es "Bed and Breakfast" ewig und drei Tage, schmunzelt der Ischler Chronist, nur habe es seinerzeit halt "Zimmer mit Frühstück" geheißen. 517.000 Treffer landet Google in knappen 0,48 Sekunden zum Stichwort "Sommerfrische". Für alle, die es genauer wissen wollen, sekundiert der gute alte Duden: "Erholungsaufenthalt im Sommer auf dem Land, an der See, im Gebirge". Freilich, der Aufenthalt in ländlicher Umgebung dauerte früher mindestens einen Monat. Unter drei Wochen könne man auch heute nicht von Sommerfrische reden, legt sich Alexander Savel ins Zeug, erst so komme man gelöst vom Alltag zu neuer Frische. Der Herausgeber des "Traunspiegels" lehnt sich im Gastgarten entspannt im Korbsessel zurück und zitiert den Komponisten Franz Lehár, der stets beteuerte: "In Bad Ischl habe ich immer meine besten Ideen."

Die Liebe zum Regen

Und wie unterscheidet sich nun der Sommerfrischler vom übrigen Touristenvolk? Ist es der Herr mit dem Strohhut, schon ein wenig über die besten Jahre hinaus, der partout den Shuttlebus in Bad Ischl für eine persönliche Route umdirigieren will? Ist es das von Kopf bis Fuß stilecht eingekleidete Trachtenpaar? Ein einfaches Erkennungsmerkmal gibt man jenseits des Berges preis: "Der Sommerfrischler sagt, er ist ein Ausseer." Was zuweilen stimmt, denn die Sommerfrischler sind sesshaft geworden, haben sich Häuser oder Wohnungen zugelegt. In jüngster Zeit kaufen sich verstärkt britische Staatsbürger im Salzkammergut ein. "Vielleicht gefällt es ihnen, weil es auch so viel regnet wie daheim", wirft Johann Ostermann verschmitzt ein.

Zu den Einheimischen dazugehören tut man deshalb aber noch lange nicht. "Und wenn von de Schuach bis zum Huat alls stimmt - i kenns von hinten am Gang", wird in der Schriftenreihe des Kammerhofmuseums zum Thema Sommerfrische ein Ausseer über Gäste in Tracht zitiert.Ob mit oder ohne Dirndl, die Sommerfrische hat Aufwind, sogar der Klimawandel soll laut Studie neue Gästeschichten vom immer heißeren Meeresstrand an das Gestade der Seen schaufeln.

PS: Selbst die Lipizzaner der Spanischen Hofreitschule machen Sommerfrische, standesgemäß wird der Wiener Burggarten zum tierischen Refugium.