Was haben Domenico Modugno und Albano Carrisi mit Apulien zu tun? Beide italienischen Herz-Schmerz-Sänger sind in dem Land zwischen Stiefelsporen und -absatz geboren, obwohl sie gerne von Neapel vereinnahmt worden sind. Modugno stammt aus Polignano a Mare und Albano aus Cellino San Marco.

Apulien empfiehlt sich besonders in der Vorsaison, denn da hat man die anmutige Pracht und die Liebenswürdigkeit der Pugliesen für sich alleine. Sicher - Apulien hat herrliche, elendslange Sandstrände und klares Wasser, aber noch imposanter sind die Städte, die Sehenswürdigkeiten und das Essen. Oh Dio, das herrliche Essen, vom Scamorza-Käse bis zu Paste di Mandorle.

Madia unsere Reisebegleiterin ist die beste Botschafterin der apulischen Küche und streut zwischen die goldene Barockstadt Lecce und das Trulliwunder Alberobello, zwischen die weißen Stadt Ostuni und Padre Pios goldprotzendes Grabmal in San Giovanni Rotondo immer wieder Rezepte von der apulischen Großmutter ein. Grüne Bohnen mit Knoblauch, gebratene Zucchini und Melanzani mit sonnengetrockneten Paradeisern, Schafskäse mit Olivenöl, Mandellmilch. Die Oma mütterlicherseits aus der Schweiz hat dem wenig entgegenzusetzen.

„Facciamo un Brindisi“ sagt man, wenn man sich mit einem Primitivo di Asturia oder einem Bianco Locorotondo zuprostet. Wein fließt in Apulien, dem Weinkeller Italiens, in Strömen, dafür muss man mit Wasser haushalten. „Der Name Apulien bedeutet Land ohne Wasser“, lässt uns Madia wissen. Erst im Jahr 1951 wurde die erste Wasserleitung „Äquaduct Pugliese“ gebaut, der das Land von der Basilikata mit Frischwasser versorgte. Vorher musste man Regenwasser in Zisternen sammeln. Jedes Haus hat noch heute eine.

Und noch etwas fließt in Apulien in Strömen: Es ist das wunderbare goldene Olivenöl. Wenn man Glück hat, bekommt man es in einem Agritourismo aus der Steinpresse (am wertvollsten ist das Tränenöl, die allererste Pressung). Geht man Schwindlern auf den Leim, wurde es ein paar Mal erhitzt und aller wertvollen Stoffe beraubt. Auskunft gibt meist der Preis, der zehn Euro pro Liter nicht groß unterschreiten sollte.

50 Millionen Olivenbäume gegen 3,5 Millionen Pugliesen - das hat schon was. Davon ein Drittel Giganten im methusalemischen Alter von über tausend Jahren. Diesmal ist es der Großvater, der seine Weisheiten über Madia ausrichtet. Man muss immer zwei Olivenbäume nebeneinander pflanzen, sonst sterben sie vor Einsamkeit, von Norden nach Süden ordentlich ausschneiden und es darf nicht länger als 12 Stunden dauern, bis die Oliven - 150 Sorten gibt es in Apulien - in der Presse landen. Nur so viel, falls jemand Olivenbauer werden möchte.

Neben den großen Städten wie Bari, Brindisi, Lecce, Molfetta - die alle hren Reiz haben, sollte man die versteckten Kleinode entdecken und so manche Überraschung erleben. Polignano a Mare ist eine Stadt wie im Bilderbuch. Malerische weiße Häuschen, weiße Kreidefelsen und ein Meer: Azurro hoch zehn. Und genau diese Felsen haben den italienischen Chansonnier Domenico Modugno zu seinem Welthit inspiriert. „Dipinto di blu“ (Bild in Blau) sollte als „Volare“ um die Welt gehen. Es ist ihm nicht zu verdenken, dass er abheben wollte, wenn er auf den Felsen hoch über seiner Heimatstadt Polignano stand. Am Hauptplatz breitet er, in Bronze gegossen, noch immer seine Arme aus um zu fliegen. Volare oh oh....

Polignano, nicht zu verwechseln mit Putiglano. Was hat der kleine Ort mit dem Hochzeitskleid von Camilla, der Angetrauten von Prinz Charles zu tun? Die Seidenrobe soll im Brautsalon von Valentini geschneidert worden sein. Wenn‘s wahr ist. Aber werben kann man mit Camilla allemal. Jedenfalls lassen sich Italienerinnen, die etwas auf sich halten, ihr Brautleid in den Salons von Polignano schneidern.

Seit dem Jahr 1190 gibt es schon die Trulli, die runden Häuschen mit den kegelförmigen Dächern von Alberobello. Seit 1996 (das Wort kommt nicht vom schönen Baum, sondern vom Krieg) sind sie Weltkulturerbe und seit einigen Jahren Zweitwohnsitze Wohlhabender. Woher kommen die merkwürdigen Rundhäuschen? Madia weiß Bescheid. Um sich der unbarmherzigen und korrupten Steuereintreiber zu entziehen, konnte man in wenigen Augenblicken einen Schlüsselstein vom Dach herausziehen und im selben Moment stürzte das Dach ein. War der Steuereintreiber abgezogen, weil er kein heiles Haus vorgefunden hatte, wurden die Häuser flugs wieder aufgebaut.

Apulien ist nicht nur Balsam für den Leib, sondern wegen der vielen Heiligen, auch für die Seele. Am Monte San Angelo soll 1490 Erzengel Michael den Bauern erschienen sein, dafür errichtete man ihm eine imposante Kirche und in San Giovanni Rotondo wirkte der Oberheilige Italiens - Padre Pio. Von den Spendengeldern aus aller Welt errichtete Stararchitekt Renzo Piano eine moderne goldstrotzende Basilika samt Orgel mit 5814 Pfeifen. Sie wurde 2010 von Papst Benedikt XVI eingeweiht. Im Mausoleum ganz aus purem Gold liegt der arme Pio. Er würde sich ob solchen Prunks im Grab umdrehen, wenn er eines hätte. Denn er ruht hinter Glas in Wachs gegossen in seiner Mönchskutte und muss sich von Tausenden Pilgern anglotzen lassen. Könnte er noch Wunder wirken, er würde sich von hier wegzaubern.

Wenn man schon einmal in Apulien ist, sollte man den Schritt in die Nachbarregion Basilikata wagen. Ein Besuch der Felsenstadt Matera lohnt sich allemal. Die Ansammlungen von Felsenwohnungen, die in den weichen Tuffstein gehauen worden sind, ist als „Schande von Matera“ in die Geschichte Italiens eingegangen. Das Buch „Christus kam nur bis Eboli“ vom Turiner Arzt Carlo Levi, schildert die erbarmungswürdigen Zustände der Höhlenbewohner, die in den Dreißigerjahren noch immer mit ihren Tieren unter der Erde hausten, keine Schulbildung hatten und in bitterer Armut lebten. Als diese Missstände durch den Turiner Arzt, der als Opponent des faschistischen Regimes nach Matera versetzt worden ist, ruchbar wurden, schaltete sich die iltalienische Bürokratie ein. Man siedelte die Bewohner in gesichtslose Vorstadtwohnungen aus, die zwar Fließwasser hatten, aber die Menschen entwurzelten. Später kehrten viele der einstigen Bewohner zurück in ihre alte Heimat. Die Höhlen wurden saniert und hergerichtet. Heute beherbergen einige davon imposante Luxushotels. Der gleichnamige Film mit Irene Papas und Gian Maria Volonte´sorgt noch immer für Gänsehaut.