Das Kitschempfinden verlangt: Idyll mit Fischernetz. Die Realität sagt: Idyll mit Internet(z). Im istrischen Trüffel-Dorf Motovun schnüffeln sich Touristen durch die Restaurants, vorbei an einer in sich versunkenen Frau, die in ihrem Laden "Art" verkauft, jetzt aber mit ihrem PC beschäftigt ist, auf dem Solitaire-Karten flackern. Die Luft flirrt, das Licht zeichnet in den engen Gassen lange Schatten, die Menschen ruhen trotz Betriebsamkeit in sich. Hier kann man sie lernen, die Kunst des Lebens - trotz Vernetzung.

Die Massen weilen dort, wo das Meer lockt. Im Landesinneren, die herrlichen kroatischen Küsten in Blickweite, herrscht indessen gepflegte Entschleunigung. So verkarstet das Land ist, so steinerweichend freundlich sind die Menschen. Der Ort: Momjan. Berühmt für seinen Muskateller und ein Kastell aus dem 13. Jahrhundert. Die wenigen Häuser picken pittoresk auf einem Hügel, die wenigen Einwohner dösen absichtslos in den Tag hinein. Im Ort gibt es: fast nichts. Und das ist gut so. Das Kastell zerfällt, die Bar hat geschlossen, das Lebensmittelgeschäft über Mittag zu und am Dienstag Ruhetag. Trotzdem fehlt es an nichts.

Die Kunst des Lebens, diesfalls in einem istrischen Steinhaus mitten im Ort. Das Gebäude strahlt Vergangenheit aus, ist aber mit allem Komfort der Gegenwart ausgestattet. Vor dem Haus der Pool, vor dem Pool Weingärten und Olivenbäume. Der Kirchturm der nahen Stadt Buje sticht in den Ansichtskartenhimmel. Jetzt gerade passiert: nichts. Und das ist gut so.

Hinter Buje liegt Koper vor Anker, hinter Koper ist Triest eingebuchtet. Im Liegestuhl am Pool hat Italo Svevos Roman "Zeno Cosini" in den Händen Platz genommen. Hätte dieser Zeno einige Wochen im mystisch-friedlichen Momjan verbracht, hätte er vielleicht keinen Psychoanalytiker gebraucht, denke ich. Jetzt gerade hört man: nichts. Und das ist gut so. Später dann, wenn der langsame Nachmittag sanft in den gemächlichen Abend tröpfelt, wird Tomislav, der einheimische Hüter des Hauses und regionweite Spezialist für Spanferkel, kurz vorbeikommen und fragen, ob alles in Ordnung sei. "Es geht mir gut, Tomislav", werde ich antworten, "ich brauche nichts, ich habe alles."

Wenn die Stille in Momjan zu laut wird, was selten passiert, werde ich ins mittelalterliche Groznjan hinaufwandern; in jenen 190-Einwohner-Ort, der einst von den Venezianern erbaut wurde, später beinahe verfallen wäre und in den 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts von einer visionären Aussteigergruppe zur Künstlerkolonie konserviert wurde. Die Errettung kostete den Verlust der Unschuld, doch trotz Kommerzialisierung ist Groznjan eine trotzige Schönheit geblieben.

Nach der Betriebsamkeit die Rückkehr in den beinahe lautlosen Mikrokosmos von Momjan. Das Ferkel von Tomislav dreht sich am Spieß, die Einheimischen besprechen zu einem Glas Momjanski Muskat die wenigen Ereignisse des Tages, in der Ferne flimmern die Lichter der Küstenstädte, die Alten drehen ihre Abendrunden, die Jungen Däumchen. Ich tue: nichts.

Und das ist gut so.