"Thank you, Monsieur Paul“ ist auf einer Hauswand in Lyon zu lesen, nebst der gigantischen Abbildung von einem der  berühmtesten Söhne der Stadt – Paul Bocuse. Szenenwechsel: Nizza, Faschingsumzug. Überlebensgroß wie eine indische Gottheit schaukelt eine Plastikfigur des  Meisterkochs über den Köpfen der Besucher.
In den acht Armen sechs vollgepackte goldene Teller. Motto des Umzugs: König der Gastronomie.

Natürlich legt auch der Meister selbst ein paar Schäufelchen Richtung eigener Unsterblichkeit nach – etwa als ihn der damalige Staatspräsident zum Ritter der Ehrenlegion schlägt, als ihn der Gault Millau zum Koch des Jahrhunderts kürt oder das Edelweingut Château Pape Clement in Paris zu (Küchen-)Papst Paul. Am 11. Februar ist Bocuse 90 Jahre alt geworden.

Höchstnote seit 50 Jahren

Seit mehr als 50 Jahren hält sein Restaurant „L’Auberge du Pont de Collonges“ nahe Lyon die Höchstnote – drei Sterne in der Gourmetbibel Guide Michelin – am Stück. Obwohl der Meister längst nicht mehr selbst hinter dem Herd steht. Zwischen Scharen von Gästen sieht man ihn
dort herumwuseln. Wie oft sich Bocuse am Tag für Fotos in Pose wirft, zählt er nicht mehr – die Hände vor der Brust verschränkt, ein Lächeln dazu, fertig.

Ein  Vermarktungsgenie ist er in jedem Fall. Was er noch ist? Ein Nimmermüder. Einer, dessen Weg in die Gastronomie vorgezeichnet war. Der Urgroßvater war Koch. Die Großmutter angeblich Nachspeisentraum mancher Männer. Mit dem Vater erkochte Bocuse den ersten Michelin-Stern. Wie andere Spitzenköche arbeitete er sieben Tage die Woche, täglich um die 15 Stunden.

Neue Wege

Wo wäre die Gastronomie heute ohne ihn? Ohne den  bekanntesten Miterfinder der Nouvelle Cuisine. Einen, der bereit war, mit allen Konventionen zu brechen. WenigerOpulenz, weniger Mehl, mehr Frische. Nur die qualitativ
besten Ingredienzien zu verwenden – und somit Backtür
und Tor für ein Füllhorn an Möglichkeiten zu öffnen.
Fisch in einen Salzmantel zu kleiden, die Spicknadel beim
Rehrücken über die Häuser zu werfen. In den frühen 70ern hörte sich das alles vermutlich ebenso verrückt an, als würde heute jemand ankündigen, es gebe ein Stück Mondkrater zum Frühstück. Nicht alle würden das gern
ausprobieren.

Ebenso erging es Bocuses Schülern: An Biss fehlte es Eckart Witzigmann, Franz Keller oder Heinz Winkler sicher nicht, als sie die Botschaft der neuen Küche in den deutschsprachigen Raum hineintrugen. Doch man begegnete ihnen skeptisch, wollte nicht vom gelernten Geschmack abweichen, glaubte nicht an die neue Linie.

Ihrer Beharrlichkeit und in weiterer Folge einer Reihe  anderer Gastronomen in der Heimat – allen voran auch Steirereck-Patron Heinz Reitbauer – ist es zu verdanken, dass die Revolution in der Küche nicht erlosch wie das Strohfeuer einer Crêpe Suzette.

Oft falsch interpretiert

Würdigung: Paul Bocuse 2007 in Monaco vor dem Hotel de Paris
Würdigung: Paul Bocuse 2007 in Monaco vor dem Hotel de Paris © (c) EPA (Asm)

Als die neue Küche schließlich flächendeckend Anklang fand, haderte Bocuse mit der Interpretation. „Nouvelle Cuisine heißt gewöhnlich: zu wenig auf dem Teller und zu viel auf der Rechnung“, kritisierte er mehr als einmal.

Wenn heute Spitzenköche im Lokal die Runde machen, geht das auch auf Bocuse zurück. Er scheuchte sie auf – aus den Küchen an die Öffentlichkeit. Nicht die großen Häuser, sondern die Köche sollten im Fokus stehen.

Was zeitlebens bei Bocuse selbst im Mittelpunkt stand, packte er in seine Biografie „Le feu sacré“ (Das heilige Feuer) – auch die Beziehung zu seinen drei Frauen.
Ein Nimmermüder, wie gesagt.