Zu Weihnachten biegen sich die Tische – Truthahn, Karpfen, große Braten, feine Kekserl, süße Sünden. Der Rest vom Fest landet wie jedes Jahr im Müll – weltweit Tonnen von Lebensmitteln.

Weihnachten 2050. Wieder biegen sich die Tische – oder etwa nicht? Werden wir noch genug zu essen haben, wenn die Weltbevölkerung auf zehn Milliarden steigt? Und was werden wir essen, wenn die Agrarflächen weiter schrumpfen? Ein Gespräch mit Autor Valentin Thurn über Alternativen zu Chemie, Gentechnik und Massentierhaltung – und wie die Welt künftig satt wird.


2050, wenn die Weltbevölkerung auf rund zehn Milliarden Menschen gewachsen ist, sind Sie an die 90 Jahre alt und leben vermutlich noch immer in Deutschland. Was werden Sie essen?
THURN: Wenn es gut geht, Produkte, die die Region mir bietet.

Ist Regionalität die Lösung für den Welthunger?
THURN: Es gibt nicht eine einzige Lösung, aber ein Konzept, das die echten Lösungen vereint – es heißt Ernährungssouveränität. Wir müssen die Grundversorgung in den Regionen halten, wo die Menschen leben. Unsere Basisgetreidesorten, Gemüse, Kartoffeln sollten nicht aus aller Welt importiert werden müssen. Ananas und anderen Luxus kann man gerne handeln, aber in dem Moment, wo wir uns bei der Grundversorgung auf den Welthandel verlassen, sind Spekulationspreisschübe verheerend.

Haben Sie ein Beispiel dafür?
THURN: In Ländern wie Kamerun setzt sich der Brötchenpreis hauptsächlich aus Rohstoffen zusammen. Wenn er an den Börsen in Chicago oder London verdreifacht wird, kostet das Brot nicht nur bei uns mehr, sondern auch in Kamerun. Dort gibt der Durchschnittsbürger aber zwei Drittel seines Geldes für Essen aus – kann das Brot nicht mehr zahlen und wird weniger essen. Wenn die Grundversorgung aus dem eigenen Land stammt, kann die Verwundbarkeit verringert werden.

Mehr Menschen brauchen mehr Platz – die landwirtschaftliche Fläche verringert sich –, wie geht sich die Rechnung aus?
THURN: Die Großstädte wachsen mitten in den fruchtbarsten Gebieten, das ist eine Konkurrenz für jede Form von Landwirtschaft. Wir sprechen von Urban Gardening, weil es schick ist, in Ländern der 3. Welt ist das lebensnotwendig. Wenn wir außerdem Großfarmen fördern, indem wir Billiges im Supermarkt kaufen, drehen wir indirekt am Ablaufdatum der Kleinbauern. Denn Rinder brauchen Soja/Getreide, und das kommt von großen Flächen, die die Kleinen verdrängen. Der Klimawandel ist der dritte Punkt – 40 Prozent der Treibhausgase stammen aus dem Bereich Ernährung.

Was kann der Einzelne tun – auf der Stelle auf Fleisch verzichten?
THURN: Österreich ist im Vergleich zu Deutschland auf einem guten Weg. Schützt die Kleinbauern, die ihr noch habt, weil die EU-Politik, der Markt, dafür konstruiert ist, dass die Kleinen verschwinden. Die einzige Möglichkeit ist die Direktvermarktung – wenn man über den Handel geht, bleibt die Hälfte des Preises da hängen. 

Wenn ich billiges Fleisch kaufe . . .
THURN: Dann zahlt das die Allgemeinheit. Ein Hühnchen um 2,99 Euro verursacht einen Schaden im Grundwasser und am Klima. Das ist an der industriellen Landwirtschaft falsch – es ist nicht billig, es erscheint nur so. 

Wie leben denn Sie?
THURN: Ich bin berufstätig und kann nicht jede Woche zu den Hofläden fahren. Aber ich habe ein schönes Modell in Frankreich entdeckt, das jetzt auch in Köln funktioniert – eine Lebensmittelkiste von Gemüse- und Milchbauern, die ich mir selbst zusammenstellen kann. Vielleicht kommt bald Fleisch dazu.

Warum leben Sie nicht vegetarisch, wenn weniger Fleischkonsum sich unmittelbar auf das Klima auswirken würde?
THURN: Das ist eine Entscheidung, die jeder individuell treffen muss. Wir brauchen auch weiterhin Rinderhaltung, weil das eine gute Nutzung unseres Grünlands ist. Aber 98 Prozent unseres Fleisches werden in fragwürdiger Massentierhaltung produziert. Das Fleisch, das ich kaufe, kostet viermal so viel, deshalb leiste ich mir weniger. Ich finde es ganz angenehm, dass es so wieder zu etwas Besonderem geworden ist.

Ist es naiv zu glauben, dass zehn Milliarden Menschen ohne Massentierhaltung, chemische Dünger, Pestizide und Gentechnik ernährt werden können?
THURN: Es wäre naiv zu sagen, wir machen einen moralischen Appell an den Verbraucher und hoffen darauf, dass irgendwann die Mehrheit nur noch bio, saisonal und regional kauft. Es ist gut, wenn man das macht, weil man nicht auf die Politiker warten sollte. Letztendlich braucht es aber eine politische Rahmensetzung, damit der Wert für die Allgemeinheit erkannt wird. Der Wille zu sagen, dass sich die Schäden, die industrielle Landwirtschaft verursacht hat, auch im Preis wiederfinden. Die Industrie muss für Klimazertifikate zahlen, warum nicht die industrielle Landwirtschaft?

Paradeiser, die weder Sonne noch Erde sehen – was halten Sie von den Ernährungsalternativen?
THURN: Ich würde gar nicht sagen, dass diese Pflanzenfabriken Blödsinn sind. Es ist nur keine Lösung für den Welthunger, der Energieaufwand ist viel zu hoch, um eine Lösung für Südostasien oder Afrika zu sein. Wir forschen zu viel an hoch technischen Lösungen, die sich nur für die Märkte reicher Länder eignen.

„10 Milliarden Menschen“ ist auch der Titel Ihres neuen Kinofilms – müssen wir fürchten, in 40 Jahren nicht mehr satt zu werden?
THURN: Ich rede immer von den vier großen T. Den Teller, die Ernährung, brauchen wir. Ein Drittel davon geht in die Tonne – ein Riesenmangel! Das dritte T ist der Trog. Wenn wir weniger Fleisch essen, wird weniger Tierfutter benötigt, wir haben diese Konkurrenz verringert. Das vierte T ist der Tank, der Biosprit – eine Nahrungsmittelkonkurrenz, die wir uns nicht erlauben sollten. Wenn man das nicht als Drama betrachtet, sondern als Reserve, dann hat man keine Angst, dass es zu wenig Essen für 10 Mrd. geben wird. Man weiß, an welchen Fronten man attackieren muss.