Ulrike Hammerschmidt ist angehende Kinderärztin am St. Anna Kinderspital in Wien. Im letzten Jahr unterbrach sie ihre Ausbildung für ein Jahr, um mit "Ärzte ohne Grenzen" in Krisenregionen zu fahren und denen zu helfen, die sonst nicht viel Hilfe bekommen. Drei Mal war sie im Einsatz, zwei Mal im Südsudan, einmal im Jemen. Obwohl sie sich gut auf die Einsätze vorbereitet hatte, überwältigten sie die Erlebnisse vor Ort: die Armut der Menschen, die engen Grenzen der medizinischen Möglichkeiten, die große Dankbarkeit.

Frau Hammerschmidt, wann haben Sie sich für den Einsatz für "Ärzte ohne Grenzen" entschieden?

ULRIKE HAMMERSCHMIDT: Den Wunsch trage ich schon lange mit mir herum. Die Organisation war das Thema meines Spezialgebietes bei der Matura, und seit damals hatte ich das im Hinterkopf. Doch bis ich die Ausbildung abgeschlossen hatte und ich mich persönlich dafür bereit gefühlt habe, hat es gedauert.

Was war Ihre Motivation?

HAMMERSCHMIDT: Es geht uns hier in Österreich sehr gut, und wenn man auch noch das Glück hat, eine Familie zu haben, die die eigene Ausbildung fördert, dann sehe ich es als Verantwortung, dass man etwas zurückgibt. Natürlich spielt auch das Interesse an einer anderen Kultur, einer anderen Arbeitsweise eine Rolle. Und das Wissen, dass medizinisch gesehen bei uns so viel möglich ist und in anderen Teilen der Erde so viel weniger.

Ihre erste Station war der Südsudan: Was waren die Eindrücke vor Ort?

HAMMERSCHMIDT: Die erste Fahrt führte durch ein Flüchtlingslager, das war erschütternd. Menschen, die unter Planen leben, in halb zerrissenen Kleidern, keine Schuhe, überall Schmutz und Armut. Sich vorzustellen, dass so das Lebensumfeld für Monate aussieht, macht sehr nachdenklich.

Welche medizinischen Einrichtungen fanden Sie vor?

HAMMERSCHMIDT: Das Krankenhaus war ein Zelt, in der Mitte war eine Trennwand, auf der einen Seite wurden Erwachsene, auf der anderen Kinder behandelt. Wir hatten Messgeräte für Blutzucker und Sauerstoffsättigung und einige Schnelltests für Malaria. Das war alles.

Mit welchen Erkrankungen hatten Sie vor allem zu tun?

HAMMERSCHMIDT: Durch die schlechten Hygiene-Zustände waren die Hauptprobleme Lungenentzündungen und Durchfallerkrankungen, auch unterernährte Kinder gab es in allen Projekten. Manchmal wussten wir aber gar nicht, womit wir es zu tun haben, da die Möglichkeiten zur Diagnose sehr begrenzt sind.

Was waren die beeindruckendsten Erlebnisse?

HAMMERSCHMIDT: In meinem zweiten Einsatz im Südsudan gab es oft Situationen, in denen ich wusste: Wenn wir nicht da gewesen wären, wäre das Kind gestorben. Viele Kinder hatten Malaria, kamen sterbend mit schwerer Blutarmut zu uns und durch eine Blutkonserve ging es ihnen schon besser. Man erlebt, wie sehr das Leben am seidenen Faden hängen kann und man es durch einfache Mittel retten kann.

Wie geht man mit dem Leid der Bevölkerung um?

HAMMERSCHMIDT: Ich habe mir gut überlegt, was ich tue, ich bin nicht blauäugig in diese Länder gefahren. Dennoch ist es etwas ganz anderes, von diesen Zuständen zu lesen oder dann unmittelbar damit konfrontiert zu sein. Es war eine Herausforderung, sich persönlich nicht zu sehr zu involvieren, man lebt mit jedem Patienten mit. Man lernt einen gewissen Abstand, doch es wird nie Alltag, sehen zu müssen, wenn ein Kind stirbt oder in welcher Armut die Familie lebt.

Wie oft sind Sie an medizinische Grenzen gestoßen?

HAMMERSCHMIDT: Das ist leider Alltag. Man kann sich zwar Wissen von Einheimischen holen, man bringt also nicht nur Wissen in diese Länder, sondern kann auch viel mitnehmen. Trotzdem stößt man oft sehr schnell an die Grenzen: Einmal haben wir es nicht geschafft, rechtzeitig eine Bluttransfusion zu bekommen und das Kind ist gestorben. Man denkt sich: Zu Hause wären innerhalb von wenigen Minuten Blutkonserven vorhanden, was für ein völlig unnötiger Tod.

Sie waren im Jemen, einem Land, in dem gerade Bürgerkrieg herrscht. Warum haben Sie sich in solche Gefahr begeben?

HAMMERSCHMIDT: In der momentanen Situation, in der jeder nur sieht, was er verlieren wird, wenn Flüchtlinge zu uns kommen, wollte ich sehen, was diese Menschen verlassen, warum sie gehen.

Wie gefährlich war die Situation vor Ort?

HAMMERSCHMIDT: Ich war nicht direkt in Gefahr, aber man hat regelmäßig Bomben gehört. Für die Menschen, die dort leben, ist es furchtbar: Jederzeit kann eine Bombe vom Himmel fallen. Ich war in einem Zentrum für Kriegsverletzte, somit habe ich ständig gesehen, wie sich Krieg auf Menschen auswirkt.

Wie schwer fällt das Heimfahren nach einem Einsatz?

HAMMERSCHMIDT: Nach dem Einsatz im Jemen war ich sehr froh, wieder entspannter arbeiten zu können. Gleichzeitig war ich auch traurig, da ich gerade erst angefangen hatte, etwas aufzubauen. Das alles zu verlassen, tut weh.

Werden Sie wieder für "Ärzte ohne Grenzen" unterwegs sein?

HAMMERSCHMIDT: Im letzten Jahr bin ich zwar manchmal an meine Grenzen geraten, aber ich würde dieses Jahr nie missen wollen. Ich habe medizinisch und menschlich so viel mitgenommen. Vor allem die Erkenntnis, dass die medizinische Versorgung, die wir als Selbstverständlichkeit sehen, es ganz und gar nicht ist.