Die Zahl der Süchtigen steigt, 2013 waren es Statistiken zufolge schon mehr als eine halbe Million. Über 8.200 Menschen starben in dem Jahr an einer Überdosis. Doch längst ist es nicht mehr die ärmere städtische Bevölkerung, die die Droge konsumiert. Immer mehr weiße Menschen aus der Mittelschicht, auch aus ländlicheren Gebieten, greifen zu Heroin.

Einstiegsdroge Schmerzmittel

Der Einstieg läuft oft über opioidhaltige, starke Schmerzmittel, die in den USA seit den 90er-Jahren freizügig verschrieben wurden und sehr schnell abhängig machen. Schon seit längerem ist von einer Opioid-Epidemie die Rede. Die Gesundheitsbehörde CDC (Centers for Disease Control and Prevention) schätzt, dass 2013 zwei Millionen Amerikaner von opioidhaltigen Medikamenten abhängig waren. Die Verschreibungen der Schmerzmittel haben sich seit 1999 verdreifacht. Mehr als 16.000 Menschen sind 2013 an Überdosierungen gestorben - viermal so viele wie 1999.

Keine einfache Lösung

Gleichzeitig sehen Gesundheitsexperten und Behörden, dass sich die Gruppe der Drogennutzer ändert. "Das ist eine komplexe Epidemie ohne einfache Lösungen", sagte Caleb Alexander, Co-Direktor des Johns Hopkins Center für Medikamentensicherheit, kürzlich auf einer großen Expertenkonferenz zu dem Thema in Baltimore. Denn die Verbindungen zwischen Schmerzmittel-Missbrauch und Heroin sind eng. Was kein Wunder ist, denn beide sind chemisch sehr ähnlich aufgebaute Opioide, die im Gehirn auf identische Rezeptoren wirken.

Weiße Mittelschicht betroffen

Eine Studie der Washington-Universität (St. Louis) beschreibt das sich wandelnde Gesicht des Heroin-Missbrauchs: In den 70er-Jahren waren es vor allem junge Männer aller Hautfarben, die mit durchschnittlich 16,5 Jahren zum Heroin als Einstiegs-Opioid griffen. Nun aber seien es vor allem weiße Männer und Frauen in den frühen Zwanzigern und aus weniger urbanen Gebieten, schreibt der Neuropharmakologe Theodore Cicero. Und: Drei Viertel von ihnen seien über verschreibungspflichtige Medikamente, wie Oxycodon oder Hydrocodon, in die Opioid-Sucht gerutscht.

Geringe Suchtgefahr suggeriert

Diese starken Medikamente, in den 80ern fast ausschließlich nach Operationen oder bei Krebs verabreicht, wurden in den 90ern freizügiger verschrieben. Hintergrund: Einige, mittlerweile widerlegte, Studien hatten Hinweise geliefert, dass die Suchtgefahr gar nicht so groß sei. Erst 2010, nachdem auch immer mehr Familien und Freunde der Erkrankten zu den Schmerzpillen griffen und die US-Bevölkerung 80 Prozent der weltweit verkauften Opioid-Mittel konsumierte, wurde das Suchtproblem erkannt.

Danach wurde der Zugang zu den Medikamenten schwieriger, die Preise zogen an. Auch die Rezepturen wurden verändert, so dass Tabletten nicht mehr aufzulösen waren und in Spritzen gezogen werden konnten - eine Praxis, die die Wirkung der Substanzen noch erhöht. Jedoch hatte der Preisanstieg zufolge, dass seitdem immer mehr Abhängige auf Heroin umsteigen, weil es, vor allem von Mexiko aus, um ein Vielfaches billiger auf den Markt gebracht wird. Teilweise ist ein "Schuss" für weniger als 10 US-Dollar zu bekommen.

Süchtig nach erfolgter Zahn-OP

Erst im September hatte das US-Gesundheitsministerium Vertreter aller 50 Bundesstaaten zusammengeholt, um gemeinsam über bessere Vorbeugung und Therapie von Opioid-Missbrauch und Überdosierungen zu beraten. "Die Opioid-Krise kennt keine Grenzen. Sie trifft das Leben in Städten, ländlichen Gebieten und Vorort-Nachbarschaften im gesamten Land", sagte Gesundheitsministerin Sylvia Burwell bei dem Treffen und berichtete von ihrer Begegnung mit einer jungen Abhängigen. "Sie war ein prima Mädchen, das von Schmerzmitteln abhängig wurde, nachdem man ihm die Weisheitszähne gezogen hatte, und dann merkte, dass Heroin billiger war."

Viele Opioid-Abhängige bekommen keine Therapie. Deshalb will die Obama-Regierung unter anderem den Zugang zu einem Mittel namens Naloxon, das bei Überdosierungen im Notfalleinsatz Leben rettet, erleichtern und mit 1,8 Millionen US-Dollar (etwa 1,7 Millionen Euro) unterstützen. Insgesamt sieht der Haushaltsplan für 2016 die Summe von 133 Millionen Dollar für Behandlung und Prävention von Opioid-Missbrauch vor.

Kein Rückgang zu erwarten

"Das ist gut zu hören, aber es ist nicht ausreichend", sagte Caleb Alexander der Deutschen Presse-Agentur. "Ich fürchte, wir werden keinen Rückgang in dieser Epidemie der Abhängigkeit erleben, bis die Verkaufszahlen der massiv beworbenen Medikamente sinken. Das ist noch ein langer Weg." Die Konferenz an der Johns Hopkins University holte deshalb auch Pharma-Vertreter hinzu, außerdem forderten die Experten strengere Verschreibungsrichtlinien, besseren Therapiezugang und mehr Sensibilisierung in der Arztausbildung. Alexander: "Meine Generation hat im Studium in den 90ern von der Gefahr durch Opioide nichts gehört. Wir haben deren Nutzen grob überschätzt und deren Gefahren massiv unterschätzt."