Für all jene Kinder in Österreich, die vor dem 1. September ihren sechsten Geburtstag feiern, beginnt im Herbst die Schulpflicht. Eine Studie der Universität München hat nun gezeigt, dass jene Kinder, die erst knapp vor dem Stichtag für die Einschulung – oder gar danach – Geburtstag haben, häufiger die Diagnose ADHS erhalten. Unter den Kindern, die kurz nach ihrem sechsten Geburtstag oder mit fünf Jahren eingeschult wurden, bekamen 5,3 Prozent diese Diagnose gestellt – unter jenen Kindern, die fast ein Jahr älter waren, waren es nur 4,3 Prozent.

Weitere Studien, gleiches Ergebnis

Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung ist die häufigste psychische Störung von Kindern und Jugendlichen, die Häufigkeit von ADHS liegt bei drei bis acht Prozent, und das unabhängig von Land und Kultur. Die Ergebnisse der deutschen Studie decken sich mit Untersuchungen aus anderen Ländern: Studien aus den USA und Kanada belegen ebenfalls, das die jüngsten Kinder in der Klasse die höchste Wahrscheinlichkeit hatten, mit ADHS diagnostiziert zu werden.

Die Forscher aus München vermuten, dass das Verhalten jüngerer und unreifer Kinder dazu führe, dass sie als „Zappelphilipp“ deklariert werden: Sie seien noch impulsiver, aktiver und weniger aufmerksam, dieses Verhalten könne als ADHS fehlinterpretiert werden.

Eine solche Diagnose ist nicht nur stigmatisierend, sondern die Therapie bringe auch Nebenwirkungen mit sich. Die Forscher empfehlen daher, über Änderungen in der Einschulungsphase nachzudenken und flexiblere Modelle zu entwerfen.

42 Prozent mehr Medikamente

Kinder mit ADHS sind hyperaktiv, können sich schwer konzentrieren und neigen zu Emotionsausbrüchen. Wie der Welt-Drogenbericht gezeigt hat, ist die Verschreibung von ADHS-Medikamenten zwischen 2006 und 2011 um ganze 42 Prozent angestiegen. Auch österreichische Experten beobachten, dass die Krankheit öfter diagnostiziert werde – führen den Anstieg aber vor allem darauf zurück, dass sich mehr Ärzte mit der Störung auskennen und so Betroffene eher erkannt werden.

Das Mittel der Wahl sei aber nicht das Medikament, sondern die Psychotherapie. Kinder mit ADHS brauchen fixe Strukturen, so werden zum Beispiel Tagespläne erarbeitet, an denen sie sich orientieren können. Erst wenn die Verhaltenstherapie versagt, braucht es Medikamente – in Österreich werden circa zwei Prozent der betroffenen Kinder mit Ritalin behandelt.

Keine Ärzte

Den größeren Missstand orten Experten in Österreich darin, dass es kaum bis gar keine Kassenstellen für Kinder- und Jugendpsychiater gibt. Betroffene Kinder warten entweder Monate auf einen Termin an einer Klinikambulanz oder haben das Glück wohlhabender Eltern, die sich eine Therapie beim Wahlarzt leisten können. Die Therapie mit Medikamenten ist dann natürlich die billigere Maßnahme.