Es sind eine Million Menschen in Österreich, die still leiden, sich für ihre Krankheit genieren und oft nicht einmal mit ihrem Arzt darüber sprechen: Inkontinenz ist noch immer ein Tabuthema. „Und ein soziales Problem“, sagt Maximilian Wunderlich, Präsident der Kontinenzgesellschaft Österreich (MÖK). Denn das Tabu führt dazu, dass sich Betroffene zurückziehen, sich selbst ausschließen – aus Scham.

„Dabei ist Inkontinenz die häufigste Krankheit der Menschheit“, sagt Wunderlich. Eine von vier Frauen über 35 Jahre und jeder zehnte Mann sind betroffen. Und trotzdem spricht niemand darüber, wenn die Blase oder der Darm nicht mehr „dicht“ sind. Das Tragische daran: Würden sich Betroffene Hilfe suchen, könnte den meisten auch geholfen werden – Inkontinenz ist kein Leiden, mit dem man sich abfinden muss.

Ursachen: Schwangerschaft und Prostata

Die Ursachen für Inkontinenz sind bei Männern und Frauen unterschiedlich. „Bei Frauen ist der Hauptgrund Schwangerschaft und Geburt“, sagt Barbara Gödl-Purrer, Physiotherapeutin und Kontinenz-Spezialistin. Durch die Schwangerschaft werden die Beckenbodenmuskeln gedehnt – der stabile Halt für Blase und Darm geht verloren. „So können auch schon junge Frauen nach der Geburt ein Kontinenzproblem haben“, sagt Gödl-Purrer.

Barbara Gödl-Purrer, Physiotherapeutin
Barbara Gödl-Purrer, Physiotherapeutin © Jürgen Fuchs

Im Alter verliert die Muskulatur noch weiter an Elastizität – dadurch sind auch viel mehr Frauen von Inkontinenz betroffen als Männer. Bei Letzteren ist eine Prostata-Operation der Hauptgrund für Inkontinenz. Aber nicht nur die Blase kann Probleme machen: Nach Darmoperationen kann der Schließmuskel beeinträchtigt sein – den Stuhl zu halten wird dann zum Problem.

Therapie: Training der Muskeln

Der erste Versuch bei Belastungsinkontinenz sollte immer die Physiotherapie sein: „Dabei geht es nicht nur um Beckenbodentraining, sondern auch um die richtige Haltung und Atmung“, sagt Gödl-Purrer. Wie so oft gilt: Je früher man beginnt, desto besser. So sollte man die ersten Anzeichen – wenige Tropfen Harn im Höschen, wenn man lacht oder hustet – nicht ignorieren, sondern sich gleich Hilfe suchen.

„Im Frühstadium ist die Therapie meist nicht langwierig“, sagt Gödl-Purrer. Denn kennt man die richtigen Übungen, müsse man ohnehin selbst trainieren. Mit der Physiotherapie könne man die Inkontinenz meist um einen Grad verbessern – reicht das Muskeltraining jedoch nicht, können Operationen helfen.

Therapie: Operation und Elektroden

„Welche Operation man anwendet, hängt von der Ursache ab“, sagt Wunderlich. Bei Frauen, die an einer Belastungsinkontinenz – Harnverlust beim Lachen, Husten, Stiegensteigen – leiden, eigne sich das TVT-Verfahren gut: Dabei wird die Harnröhre mit einem Kunststoffband verstärkt.

Maximilian Wunderlich, Präsident der Kontinenz-Gesellschaft Österreich
Maximilian Wunderlich, Präsident der Kontinenz-Gesellschaft Österreich © Hans Kirst

Harn- und Stuhlinkontinenz kann man aber auch mit Strom behandeln: Bei der sogenannten sakralen Neuromodulation werden Elektroden an die Wurzeln jener Nerven gesetzt, die den Beckenboden kontrollieren. Ein Schrittmacher versorgt die Nerven dann ständig mit Impulsen. „So hält man den Beckenboden dicht“, sagt Wunderlich.

Nach Geburten kann der Schließmuskel auch so beschädigt sein, dass er rekonstruiert werden muss – „eine solche Operation ist schwierig und sollte nur von Spezialisten gemacht werden“, sagt Wunderlich.

Ansprechpartner: Urologen und Therapeuten

Urologen und Gynäkologen sind Ansprechpartner zum Thema Inkontinenz. Über die Homepage der Kontinenzgesellschaft (www.kontinenzgesellschaft.at) findet man auch Physiotherapeuten, die sich auf das Thema spezialisiert haben. Suchen Sie sich Hilfe – denn niemand muss still leiden.