Frau Gutmann, Sie bieten Psychotherapie für Frauen nach einem ungeplanten Kaiserschnitt an. Wie kamen Sie zu diesem Thema?

ANJA GUTMANN: Ich bin selbst Betroffene, ich hatte einen ungeplanten Kaiserschnitt. In einer Ausbildung bin ich auf eine Arbeit gestoßen, worin Mütter beschrieben haben, wie es ihnen nach dem Kaiserschnitt ergangen ist. Das war ein Aha-Erlebnis: Gewisse Dinge sind beim Kaiserschnitt sehr speziell. Ich habe mich eingelesen und gesehen: Es gibt fast nichts für Frauen. Es konzentriert sich alles auf die Kinder, Mütter werden außen vor gelassen.

Sie sagen, ein Kaiserschnitt kann für eine Frau ein Trauma sein. Warum ist das Erlebnis für Frauen im wahrsten Sinne so einschneidend?

GUTMANN: Die Geburt wird als der schönste Moment stilisiert, Frauen haben spezielle Erwartungen. Diese werden jäh enttäuscht. Zudem muss es bei einem ungeplanten Kaiserschnitt meist schnell gehen. Es bleibt keine Zeit für Aufklärung und wenn Aufklärung passiert, können Frauen es gar nicht verarbeiten, weil sie während der Geburt in einem tranceartigen Zustand sind.

Wie geht es Frauen in dieser Situation?

GUTMANN: Der ganze Prozess Kaiserschnitt bringt die Frau in eine hilflose Situation. Sie kann selbst nichts tun, sondern es wird etwas mit ihr getan. Außerdem gibt es große Ängste, vor allem um das Leben des Kindes. Daraus kann ein Trauma entstehen.

Wie äußert sich eine solche Traumatisierung?

GUTMANN: Die schlimmste Folge ist eine posttraumatische Belastungsstörung. Diese tritt sechs Monate nach dem Ereignis auf und es kommt zu einer Übererregbarkeit und Flashbacks. Dabei kommen intensive Erinnerungen an die Geburt hoch, so als würde man sie noch einmal durchmachen. Bei diesem klassischen Symptom ist der Weg zur psychologischen Hilfe einfacher. Schwieriger wird es bei versteckten Folgen.

Wie können diese aussehen?

GUTMANN: Das kann zum Beispiel eine anfängliche Distanz zum Kind sein. Vor allem wenn der Kaiserschnitt unter Vollnarkose passiert und die Frau die Entbindung nicht miterlebt, ist es für Frauen schwierig. Fragen wie "Ist das wirklich mein eigenes Kind?" treten auf. Viele beschreiben das Gefühl, als Frau versagt zu haben, und später auch Probleme in der Sexualität.

Wie wirkt sich das Trauma auf die Beziehung zum Kind aus?

GUTMANN: In weiterer Folge kann sich eine sehr enge Bindung zum Kind entwickeln, die zu einer Überforderung führt. Ich höre oft den Satz: Ich habe meinem Kind schon keinen guten Start ins Leben ermöglicht, dann will ich wenigstens jetzt alles richtig machen. Aus diesen Schuldgefühlen und Bemühungen kommt die Überforderung. Vielen Müttern fällt es schwer, das Kind anderen anzuvertrauen oder zu schlafen, wenn das Kind schläft - aus Angst um das Kind.

Wann sollte eine Mutter professionelle Hilfe suchen?

GUTMANN: Krankenschwestern und Hebammen merken schnell, wenn Mütter in einer schwierigen Situation sind. Es wäre so wichtig, Frauen, die einen ungeplanten Kaiserschnitt hatten, mit Informationen zu versorgen. Damit sie wissen: Wenn es mir nicht gut geht, sollte ich mir Hilfe suchen. Eine Psychotherapie ist dann notwendig, wenn Frauen leiden und Gespräche mit Familie und Freunden nicht reichen.