Ein fleischiger diabetischer Fuß, der Mundtumor eines Tabakkauers, Röntgen-Aufnahmen eines psychisch kranken Patienten, der eine Gartenschere und ein Messer verschluckt hat: Wer durch Figure 1, das sogenannte Instagram für Ärzte scrollt, wünscht sich nicht nur einmal, er hätte es nicht getan.

Dabei ist der Ekeleffekt nur eine Nebenprodukt: Eigentlich ist die App dafür da, dass Mediziner Fotos von spektakulären oder unklaren Fällen austauschen können. Ein „Lernwerkzeug“ soll es sein, schürt aber natürlich auch Ängste in Bezug auf den Schutz von Patientendaten.

Gesichter werden unkenntlich gemacht

Joshua Landy heißt der Vater dieser App: Die Idee dazu entstand, als der angehende Arzt an der Universität bemerkte, dass sich Ärzte via Smartphones über ihre Patienten beraten. Sie verschickten Fotos über soziale Netzwerke oder E-Mails und fragten um Rat. „Das stellte ein großes Datenschutz-Problem dar“, sagt Landy gegenüber dem Technikportal "The Verge".

Röntgenbild: Eine Gartenschere und Messer verstecken sich hier
Röntgenbild: Eine Gartenschere und Messer verstecken sich hier © Figure 1

Diese Problem will er nun über die App gelöst haben: Alle Merkmale, die dazu führen könnten, dass man den Patienten identifizieren kann, müssen entfernt werden – dafür bietet die App selbst die Werkzeuge an. Gesichter werden automatisch unkenntlich gemacht und Ärzte sind dazu angehalten, Patienten um Erlaubnis zu fragen, bevor sie ein Foto machen und hochladen. Und: Jedes Foto wird von Moderatoren begutachtet, bevor es online geht. „Wir besitzen keine Patientendaten“, sagt Landy über seine Firma mit Sitz in Kanada – es gebe damit keine Geheimnisse, die sie preisgeben könnten.

Rechte an Fotos

„Die Server stehen in den USA und die Ärzte sind selbst für die Anonymisierung verantwortlich“, erklärt Heiko Renner, selbst Arzt und Experte für den Einsatz von Technik in der Medizin. Mit dem Hochladen bekomme "Figure 1" auch alle Rechte für die Weiternutzung der Fotos.

Daraus erkläre sich auch das Geschäftsmodell, sagt Renner: Viele Ärzte „spenden“ gratis Medizinfotos, die sonst schwer zu bekommen sind – die App-Betreiber seien damit in Besitz unzähliger Bilder, die in Summe einen großen Wert darstellen. Die Gefahr, dass die Krankheiten von Patienten – gerade stigmatisierte wie HIV – durch die Fotos öffentlich werden, hält Renner für prinzipiell möglich, aber unwahrscheinlich.

"Harmlose" Beispiele © Figure 1

Wunden statt Kätzchen

Während jedermann die Fotos begutachten kann, dürfen nur verifizierte Ärzte Fotos hochladen und kommentieren. Ein unklarer Ausschlag, eine Geschwulst, die man noch nie gesehen hat: Die Communtiy von mehr als 150.000 Ärzten aus der ganzen Welt steht als Ratgeber zur Seite. Das Foto wird mit einer Kurzbeschreibung des Falles hochgeladen und über die Kommentar-Funktion können andere Ärzte Ratschläge und Meinungen abgeben. Es sieht tatsächlich aus wie Instagram – nur mit blutenden Wunden statt schlafenden Kätzchen.

Falsche Behandlungen

„Der Nutzen für den einzelnen Arzt ist limitiert“, sagt Renner. Die Suchfunktion sei sehr rudimentär, die App nur auf Englisch verfügbar. Und die Ratschläge, die die Community erteilt, sind ungeprüft. „Theoretisch können sie dazu führen, dass Patienten falschen oder unnötigen Zusatzbehandlungen ausgesetzt werden“, sagt Renner. In Einzelfällen könne man auf diesem Weg aber natürlich auch entscheidene Hinweise bekommen. "Es gibt Vor- und Nachteile", sagt Renner. 

Kuriositäten schauen

Zehn Prozent der Benützer sind laut Angaben der Firma überhaupt keine Mediziner, sondern nur neugierige Laien, die sich am Ekel medizinischer Kuriositäten erfreuen. Und auch Arzt Renner sieht in der App nicht viel mehr als „Bilder schauen mit Small Talk“.