Von 27. bis 29. November findet in der Grazer Stadthalle der 45. Kongress für Allgemeinmedizin statt. 2000 Mediziner aus ganz Österreich beschäftigen sich dieses Mal mit dem Hauptthema "Der jugendliche Patient in der Allgemeinpraxis". Als Festredner wurde der bekannte Neuropsychologe Lutz Jäncke eingeladen, der sich u.a. mit der Frage beschäftigt, warum Jugendliche so sind, wie sie sind. Sein Motto: "Sie können nichts dafür".

"Unsere Jugend ist unerträglich, unverantwortlich und entsetzlich anzusehen". Diese Worte stammen von Aristoteles, der um 300 vor Christus lebte. Es scheint also kein Phänomen unserer Zeit zu sein, dass es Probleme zwischen den Generationen gibt. Herr Jäncke, lässt sich dieses Generationenproblem neuropsychologisch erklären?

LUTZ JÄNCKE: Weltweit sind sich Jugendliche sehr ähnlich - und das über die Jahrhunderte gesehen. Jugendliche verhalten sich anders als Erwachsene, weil einige Hirngebiete noch in einem Reifungsprozess sind. Diese Areale hängen mit Funktionen wie Selbstdisziplin, Konzentration und Aufmerksamkeit zusammen. Jugendliche können nichts dafür, dass sie anders sind - das liegt daran, dass das Gehirn noch reift. So kommt es zu Generationsproblemen, Jugendliche und Erwachsene unterscheiden sich einfach.

Was ist Ihr Rat an Eltern, wie man mit Jugendlichen umgehen soll?

JÄNCKE: Man muss Jugendliche annehmen, so wie sie sind und ein bisschen Gelassenheit zeigen. Die Aufgabe der Eltern ist es, die Kinder beim Erwachsenwerden zu begleiten und den fehlenden Frontalkortex zu ersetzen - durch Erziehung. Am allerwichtigsten ist, dass Kinder in ihren Eltern gute Vorbilder haben. Wir sind Imitationslerner, Kinder lernen von Vorbildern unglaublich schnell. 

Funktioniert diese Vorbildfunktion auch in der Rebellionszeit Pubertät?

JÄNCKE: Kinder werden ihren Eltern ähnlicher als es den Eltern lieb ist. Sie lernen implizit die Werte und mit 25, 28 Jahren werden sie wie ihre Eltern. Da muss man Ruhe bewahren, aber trotzdem Grenzen setzen und Angebote machen.

Sie beschäftigen sich damit, wie Lernen funktioniert. Verändert der moderne Medienkonsum das Gehirn?

JÄNCKE: Es ist noch nicht möglich eine abschließende Aussage zu treffen. Ich glaube aber, dass es einige Probleme gibt. Wir sind nicht fürs Multi-Tasking gemacht. Wenn wir etwas konzentriert machen wollen, müssen wir alle anderen Reize unterdrücken – das ist sehr mühsam. Menschen, die Multi-Tasking machen, geben sich den Störungen hin, sie hüpfen von Reiz zu Reiz. Da können wir uns verlieren, auch süchtig werden. Dadurch wird man ein Reiz-getriebenes Wesen, wir verlieren die Kontrolle über unser Verhalten. Das ist besonders für Jugendliche gefährlich, denn ihr Frontalkortex ist noch nicht ausgereift und sie haben weniger Kraft, sich den Verlockungen des Alltags zu erwehren. Die Gefahr der Sucht ist groß.

Kann man Multi-Tasking lernen?

JÄNCKE: Unser Gehirn ist so konstruiert, dass aus den elf Millionen Bits, die pro Sekunde auf uns einprasseln, elf Bits ausgewählt werden, die wir wahrnehmen und verarbeiten. Das sind unsere Filtermechanismen. Die muss man trainieren – tut man das nicht, wird man überflutet von dem ganzen Kram.

Sehen Sie für die Generation der "Digital Natives" also Probleme am Horizont?

JÄNCKE: Ich glaube nicht, dass die 'Digital Natives' im Vorteil sind. Es heißt, das sei eine neue Generation, die Multi-Tasking kann und den Eltern überlegen ist. Aber das eigentliche Thema ist das tiefe Verständnis von Dingen. Es wurde zum Beispiel gezeigt, dass 20 Prozent der US-Amerikaner die Mitglieder der Simpsons-Familie aufzählen können, aber nur drei Prozent kennen zwei der fünf Amendments (Anm. Zusatzartikel zur Verfassung) – der große Stolz der Amerikaner, die Grundlage des amerikanischen Staates. Das zeigt, dass diese Werte verloren gegangen sind. Die Gewichtung wird vor allem durch reinen Lustgewinn gesteuert.

Heute ist alles "google-bar": Wird es dazu kommen, dass wir uns nichts mehr merken können, weil Wissen ohnehin ständig verfügbar ist?

JÄNCKE: Das ist richtig, man vergisst manche Sachen sehr schnell wieder, aber man tut auch Dinge, die früher nicht möglich waren. Man kann über Dinge nachdenken, über die man ohne das Internet keine Information zur Verfügung hatte. Wir lernen andere Inhalte.

Verändern sich durch neue Medien auch die Lernprozesse im Gehirn?

JÄNCKE: Wenn man etwas lernt, muss man das vernetzt lernen. Wir müssen eine Information mit anderen Aspekten verbinden. Und fürs Lernen braucht man immer Zeit, deshalb ist "Bulimie-Lernen" völliger Quatsch. Für eine Prüfung zu lernen und dann alles wieder zu vergessen, bringt gar nichts. Ich bin ein großer Fan davon, digitale Medien zum Lernen zu nutzen. Sie bieten die idealen Möglichkeiten vernetzt zu lernen: Digitale Lehrbücher, in denen man Inhalte anklicken kann. 3-D-Bilder, die Möglichkeit zur Bewegung und die verbale Information dazu. Ich bin überzeugt, dass das Tablet ein Lernmedium der Zukunft wird.