Wiener Wissenschafter haben Instabilität von Genen als Bindeglied zwischen Muskelerkrankungen und der Entstehung von bösartigen Tumoren (Sarkome) entschlüsselt. Sie veröffentlichten Donnerstagabend ihre Ergebnisse in der führenden Fachzeitschrift "PloS Genetics".

Seltene Erbkrankheiten

"Muskeldystrophien zählen zu den sogenannten seltenen Erbkrankheiten ("rare" oder "orphan diseases", Anm.), die durch eine fortschreitende Muskelschwäche gekennzeichnet sind und häufig zu einer verkürzten Lebenserwartung führen. Obwohl die genetischen Ursachen für die meisten Muskeldystrophien in den vergangenen zweieinhalb Jahrzehnten aufgeklärt werden konnten, besteht nach wie vor für die betroffenen Patienten, nicht selten Kinder oder Jugendliche, keine Aussicht auf Heilung", erklärte Reginald Bittner vom Neuromuskulären Forschungszentrum der MedUni Wien.

Die Erkrankungen werden zumeist durch Mutationen in sehr großen und komplex organisierten Genen verursacht, die für Proteine mit sehr unterschiedlichen Funktionen kodieren. Einigen werden Membran stabilisierende Eigenschaften (z.B. Dystrophin, Dysferlin) zugeschrieben, anderen jedoch enzymatische Funktionen (z.B. Calpain-3, Large).

Trotz der Vielfalt an möglichen genetischen Ursachen für die Muskeldystrophien gibt es aber - so der Wiesenschafter - eine charakteristische Gemeinsamkeit: die permanente Teilung und Vermehrung von Zellen des Binde- und des Fettgewebes und die ständig ablaufenden Zyklen von Degeneration und Regeneration von Muskelfasern. Bisher aber konnte kein molekularer Mechanismus identifiziert werden, der diesen gemeinsamen, bei allen Formen der Muskeldystrophien beobachtbaren, "proliferativen" pathologischen Prozess erklären könnte.

Schlüsselmechnismus identifiziert

Wolfgang Schmidt und dem Team vom Neuromuskulären Forschungszentrum (NMRD) unter der Leitung von Reginald Bittner an der MedUni Wien gelang es, hier einen Schlüsselmechanismus zu identifizieren, der allen Muskeldystrophien gemeinsam zugrunde liegen dürfte und der erstmals ihren "proliferativen Charakter" erklären könnte.

In "PLoS Genetics" stellen die der Wissenschafter und sein Team dar, dass den Erkrankungen eine Veränderung auf der Ebene des Erbguts gemeinsam ist, die man bisher primär aus der Tumorbiologie kannte: genomische Instabilität. In dem von Bittner geleiteten Forschungsprojekt zeigten die Wissenschafter, dass sowohl tierische als auch menschliche Zellen aus dystrophischen Muskeln eine Reihe von pathologischen Veränderungen am Erbgut aufweisen: DNA-Doppelstrangbrüche, Aneuploidien (Abweichungen der Chromosomenzahlen) oder auch Mutationen in Tumorsuppressor-Genen und erhöhte Kopienzahlen von Onkogenen. Letzteres sind Gene, welche das bösartige Wachstum von Zellen fördern.