Ein 13 Jahre altes Mädchen aus Knittelfeld springt nach einem heftigen Streit mit seiner Mutter aus dem Fenster und erliegt wenig später seinen Verletzungen. Ein 15 Jahre altes Mädchen in der Weststeiermark stirbt an einer Drogenüberdosis und wird vom Freund in einem Müllcontainer entsorgt. Eine 17 Jahre alte Obersteirerin und deren 24 Jahre alter Freund verüben gemeinsam Selbstmord. Dass die beiden vorher in Suizidforen im Internet gechattet haben, bleibt reine Spekulation.

Aufgeheizte Diskussion

Drei tragische Einzelfälle aus der jüngsten Vergangenheit. Doch wenn Jugendliche in den medialen Scheinwerferkegel geraten, ist das Licht meist so grell, dass die Gefahr einer Blendung besteht. Dann ist "die Jugend" zwar plötzlich wieder im Gespräch, allerdings nur im negativen Konnex. Aufgeheizt wird die Diskussion dadurch, dass sich die oben genannten jungen Opfer in einer Lebensphase befanden, mit der alle Beteiligten seit jeher ihre liebe Not haben. Man nennt diese Phase Pubertät.

Der liebe Bub fragt seine Eltern nicht mehr, warum der Himmel blau ist, sondern wird völlig blau in die Intensivstation eingeliefert. Das kleine Mädchen, das früher den Papa angehimmelt hat, wünscht diesen jetzt zum Teufel, weil der ihr nach stundenlangem Telefonieren das Handy wegnimmt. Schluss mit der kuscheligen Vater-Mutter-Kind-Idylle. Stattdessen gibt es Streitigkeiten, Provokationen, Grenzüberschreitungen, Wut und Tränen bei allen Beteiligten. Das Verhalten der Jugendlichen ist den meisten Eltern unverständlich. Und die Jugendlichen finden ihre Oldies nur noch nervig und peinlich. So weit, so kompliziert. Aber war das nicht schon immer so?

Wo sich reiben?

Natürlich war das schon immer so. "In der Pubertät wird Distanz gesucht. Zu Eltern, zu Lehrern. Und das geschieht mitunter sehr laut und heftig", sagt der renommierte Schweizer Jugendpsychologe Allan Guggenbühl. Und fügt hinzu: "Am meisten gefährdet sind jene Jugendlichen, über die sich keine Bezugsperson ärgert." So lange Reibung entsteht - so nervenaufreibend sie auch sein mag - ist alles in Ordnung. "Am schlimmsten sind Eltern, die für alles Verständnis haben", so Guggenbühl. Er spricht damit ein Phänomen an, das in der Hitze der Gefechte oft übersehen wird: Woran sollen sich Jugendliche heute reiben, wenn die "Bäume" keine Angriffsfläche mehr bieten?

Früher, sagen wir vor 30 Jahren, hat ein kleines Flinserl im Ohr gereicht, um große Probleme mit seinen Altvorderen zu bekommen. Heute sind die Altvorderen oft heftiger gepierct und tätowiert als ihr Nachwuchs. Früher waren grün gefärbte Haare ein schneller und billiger Tabubruch. Heute sind die Erwachsenen so ausgeflippt gestylt, als würden sie gerade vom Life-Ball kommen. Früher war ohrenbetäubender Hardrock ein hochwirksames Mittel, um die miefigen Neubauten der Eltern zum Einsturz zu bringen. Heute schlurfen 40-Jährige mit ihren 14-Jährigen zum Rockfestival. Wenn junge Menschen anno 2011 provozieren wollen, müssen sie schon die Dosis erhöhen. Und zwar gewaltig!

Die Großbaustelle

Aber keine Angst: Auch wenn die Grenzen zwischen Jung und Alt immer mehr ausfransen, bleibt genug Konfliktpotenzial übrig. Während die Fachwelt bereits seit Jahren über die hormonellen Veränderungen während der Pubertät forscht, beginnt sie jetzt erst, sich mit dem Umbau im Gehirn Heranwachsender zu befassen. Wissenschafter wie die niederländische Entwicklungspsychologin Eveline Crone (siehe auch Interview in der rechten Randspalte) haben direkt in die Köpfe von Jugendlichen geblickt und mittels bildgebender Verfahren dargestellt, was sich dort abspielt. Kurz gesagt ist das Gehirn von Pubertierenden eine gewaltige Großbaustelle, auf der es dermaßen hektisch zugeht, dass es an ein Wunder grenzt, dass nicht mehr passiert.

Anhand von Studien kann Crone belegen, dass das Gehirn von Jugendlichen zwischen deren 13. und 20. Lebensjahr völlig umgebaut wird. Und dieser Umbau lässt die Betroffenen oft in einem gewaltigen Gefühls- und Denkchaos zurück. So ist zum Beispiel das limbische System, das unter anderem für die Verarbeitung von Gefühlen zuständig ist, bereits bei Teenagern weitgehend ausgereift. Eine klare Abwägung zwischen diversen Argumenten oder auch die Fähigkeit, Folgen bestimmter Handlungen genau einzuschätzen, fehlen aber Jugendlichen schlicht und einfach, weil sich die dafür zuständige Gehirnregion noch mitten im Umbau befindet. Auch eine effiziente Organisation ist Jugendlichen deshalb nicht bzw. schwer möglich, weil sich der Schlüssel dafür ebenfalls in einem Gehirnareal befindet, auf dem das Schild "Under Construction" hängt. Was so wissenschaftlich klingt, spiegelt sich ganz trivial im Alltag wider: impulsive Gefühlsausbrüche, riskante Kurzschlusshandlungen, versaute Kinderzimmer.

Zum Schluss ein Trost für alle leidgeprüften Eltern: Irgendwann, eines nicht allzu fernen Tages, sind die Umbauarbeiten beendet und ein wunderschönes Menschengebäude steht mitten im Leben. Bis es aber so weit ist, heißt es: "Betreten der Baustelle auf eigene Gefahr".