"Wir fordern, dass so bald als möglich die E-Medikation kommen muss. Weiteres Warten ist lebensgefährlich." - Dies erklärte am Freitag der Präsident der Österreichischen Apothekerkammer, Heinrich Burggasser, bei einer Pressekonferenz der Standesvertretung in Wien. Die Gefahr von Wechselwirkungen bei der Verwendung mehrerer Medikamente - auch rezeptfreier - werde drastisch unterschätzt.

Keine Zuckerl

"Arzneimittelsicherheit ist ein zentrales Thema für alle Bürger. Wir haben den Spagat zwischen Beratung und richtiger Einnahme zu schaffen. Von vielen Menschen wird geglaubt, rezeptfreie Arzneimittel sind Zuckerln", sagte Burggasser. Hier kommt die mit Pharma-Versandhandel im EU-Raum akut gewordene Frage von im Internet bestellten OTC-Produkten ins Spiel, auch die Frage, ob OTC-Arzneimittel nicht auch in Drogerien bzw. Drogeriemärkten verkauft werden könnten.

Der Grazer Pharmakologe Eckhard Beubler: "OTC-Arzneimittel sind brandgefährlich." Das gleiche gelte für die Verschreibung zahlreicher Arzneimittel, speziell bei älteren Menschen - auch dort wegen der potenziellen Wechselwirkungen. Der Experte: "Man hat sich in Schweden aus einer Gruppe von 11.000 Todesfällen per Zufall 1.574 Fälle herausgesucht. 49 dieser Menschen sind an Arzneimittelnebenwirkungen gestorben, 75 Prozent davon an schweren Blutungen.

Die größten Probleme gibt es laut Beubler mit gastrointestinalen Blutungen, die durch die Kombination von Acetylsalicylsäure (ASS), Coumarin (Marcoumar), Heparin oder Clopidogrel (alles Blut verdünnende Medikamente, Anm.) mit SSRI-Antidepressiva, nichtsteroidalen Antirheumatika, Paracetamol, Gingko-Präparaten und Magenschutzmedikamenten (PPIs) vermehrt auftreten können. Der Pharmakologe: "Die Kombination von Coumarin mit einem nichtsteroidalen Antirheumatikum ergibt das 13,5-fache Blutungsrisiko. Mehr als 50 Prozent der über 60-Jährigen schlucken am Tag mehr als sechs Arzneimittel, 19 Prozent aller Patienten mehr als 13 verschiedene Medikamente."

Schneller und einfacher

Da aber nichtsteroidale Antirheumatika, ASS/Aspirin und auch schon PPIs auch rezeptfrei gekauft werden können, wäre eine E-Medikation mit Verzeichnis aller dem Patienten verschriebenen und von ihm zusätzlich erstandenen Arzneimitteln natürlich ein wesentlicher Fortschritt. Burggasser: "Wir sind dafür, dass man endlich mit der E-Medikation anfängt."

Im abgelaufenen Pilotversuch hätte sich - so der Standesvertreter - allerdings auch herausgestellt, dass das E-Medikations-System einfacher und schneller handhabbar gemacht werden müsse. Für die Bürger sollte es eine freiwillige Teilnahme (auch für die elektronische Gesundheitsakte - ELGA) geben. Die Apotheken sollten jedenfalls zur Teilnahme verpflichtet sein. Sollten die Ärzte nicht mitmachen, würde man eventuell daran denken, ein solches System allein auf die Beine zu stellen. Genau das war allerdings mit dem in Österreich am Beginn der Entwicklung gestandenen "Arzneimittel-Sicherheitsgurt" der Apotheker bereits vor Jahren geplant gewesen. Der Plan wurde aber außerhalb des Bundeslands Salzburg mit einem Versuch nie flächendeckend umgesetzt. Der damalige Salzburger Apothekerkammerpräsident musste vor rund fünf Jahren diesbezügliche Forderungen zurückziehen. Seither macht die gemeinsame Umsetzung der E-Medikation als Teil von ELGA massive Probleme.

An sich schätzen die Österreicher die Beratung in den Apotheken. Das hat eine telefonische Umfrage von Karmasin Motivforschung unter 400 Personen im Alter von mehr als 60 Jahren ergeben. Meinungsforscherin Sophie Karmasin: "86 Prozent der Bevölkerung (dieser Altersgruppe, Anm.) nehmen die Beratung in den Apotheken in Anspruch. (...) 54 Prozent wollen rezeptfreie Arzneimittel nicht in Drogeriemärkten wie 'dm' kaufen. 31 Prozent wären aber nicht abgeneigt." Beratung in der Apotheke suchen 73 Prozent der Konsumenten wegen der Dosierung bzw. der Wirkungsweise von Arzneimitteln, gefolgt von Nebenwirkungen (71 Prozent) und Wechselwirkungen (63 Prozent).