Jacques Audiard und Cannes: Man kann das nur als wachsende Liebesbeziehung lesen. 1996 holt er sich an der Croisette die erste Auszeichnung – für das beste Drehbuch („Das Leben: Eine Lüge“). 2009: Großer Preis der Jury für „Ein Prophet“. Und nun also der Hauptpreis, die Goldene Palme für „Dheepan“, die Geschichte eines Flüchtlingstrios, das sich als Familie ausgibt, um in Frankreich bleiben zu können. Der Titelheld kommt als Hausmeister im Wohnblock eines tristen Pariser Vorortes unter, die Frau als Haushälterin beim lokalen Drogenbaron. Soll heißen: Kaum sind die Neuankömmlinge der heimatlichen Gewalt entkommen, werden sie mit den Bandenkriegen der Banlieue konfrontiert – und Dheepan muss auf die Fähigkeiten zurückgreifen, die er sich als Guerillakrieger der Tamil Tigers in Sri Lanka erwarb.

Flüchtlingsdrama, Thriller, Liebesgeschichte: Nur einem Genre lässt sich Audiards jüngster Film nicht zuordnen. Er wolle damit, sagte der Regisseur nach der Preisverleihung, um Verständnis für die Migranten werben, die nach Europa kommen: „Mich hat die Lage jener Menschen interessiert, die in unserer Gesellschaft ,die anderen‘ sind“, so Audiard. „Wenn ihnen das hilft – umso besser.“

Entdeckung der Liebe

Die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Randzonen ist sein Grundthema. „Ein Prophet“ erzählte von einem muslimischen Franzosen, der im Knast in die korsische Mafia aufgenommen wird. In „Der Geschmack von Rost und Knochen“ mit Marion Cotillard und Matthias Schoenaerts zeigte Audiard, wie zwei vom Leben Schwerstversehrte die Liebe entdecken. „Dheepan“ ist sein erst achter Film als Regisseur. Er lässt sich mit der Entwicklung seiner Stoffe Zeit; dass er als Drehbuchautor begann, trägt zum düsteren Realismus seiner Filme wohl ebenso bei wie zur wunderbaren Komplexität seiner Charaktere.

Gelernt hat Audiard übrigens bei Granden wie Roman Polanski, Patrice Chéreau, Claude Miller; heute wird er oft mit Martin Scorsese verglichen. Mit dem Amerikaner verbinden ihn der teilnahmsvolle, fast zärtliche Blick auf seine Außenseiter ebenso wie die oft brutalen sozialen Lernprozesse, die er ihnen auferlegt.