Ein irischer Fischer traut seinen Augen nicht, als er mit seinem Schleppnetz neben Lachs eine junge Frau aus dem Wasser zieht. Sollte es sich bei der anmutigen Unbekannten um eine Meerjungfrau handeln? "Ondine", wie der Fischer Syracuse seinen Fang nennt, hat zwar keinen Fischschwanz, lässt aber die Frage nach ihrer Herkunft offen. Und auch Regisseur Neil Jordan hat in seiner am 23. Dezember in den österreichischen Kinos anlaufenden Romanze keine Eile, Ondines Geheimnis zu enthüllen.

Lange kann der armselige Fischer, der das schweigsame Mädchen in seiner Hütte am Meer einquartiert, seinen Gast nicht verstecken. Seine nierenkranke kleine Tochter Annie, die bei Syracuses alkoholsüchtiger Ex-Frau lebt und von ihrem Vater regelmäßig zur Dialyse gefahren wird, ahnt gleich, dass Papa ihr etwas verbirgt. Nachdem Fräulein Naseweis im Rollstuhl Erkundigungen angestellt hat, schließt sie messerscharf, dass Ondine eine "Selkie"-Frau ist, also laut irischer Volkssage eine Robbenfrau, die an Land ihr Fell verliert und sich mit einem Mann vermählt. Sie freundet sich mit der vermeintlichen Nixe an und sieht in deren Verhalten die Sage bestätigt.

Irischer Regisseur kehrt auf die grüne Insel zurück

Der Ire Neil Jordan, bekannt durch "Interview mit einem Vampir", heimste 1993 für "The Crying Game" einen Oscar ein. Zuletzt drehte er mit "Die Fremde in dir" einen New York-Thriller mit Jodie Foster. Mit diesem versponnenen kleinen Heimatfilm kehrt er auf die grüne Insel zurück, im Gepäck den irischen Star Colin Farrell. Mit langen Haaren, miesmuffeligem Blick und brummigem Akzent gibt Farrell einen vom Leben gebeutelten Außenseiter und trockenen Alkoholiker, der mit Ondine eine unerwartete Glückssträhne erwischt. Sein Fang, der polnische Star Alicja Bachleda-Curús ("Friendship!"), ist auch in Wirklichkeit Farrells Freundin geworden; das Paar hat inzwischen ein gemeinsames Kind.

Virtuos balanciert das fein ausgetüftelte Drehbuch zwischen Wirklichkeit und Märchen, wenn sich zwischen Pub und Fischmarkt manche Probleme von Syracuse wie von Zauberhand lösen. Wenn Ondine etwa auf dem Fischkutter singt, wandern seltene Hummer ins Netz. Später allerdings gibt es auch einen Kollateralschaden, der den verliebten Fischer allmählich befürchten lässt, dass Ondine eher Hexe als Fee ist. Seine Ängste beichtet er regelmäßig einem grantigen Priester - Jordans Lieblingsschauspieler Stephen Rea -, der ihm kleine Lebensweisheiten unterjubelt.

Fast ist es schade, dass an dieser verwunschenen irischen Küste schließlich doch die prosaische Realität ihr Recht einfordert. Doch was bei anderen Regisseuren in knallige Krimi-Action ausgeartet wäre, bringt Jordan, ein Meister des Atmosphärischen, behutsam zum Implodieren - und lässt offen, ob es sich um Magie oder um eine sich selbst erfüllende Prophezeiung handelt. Jordan sagt selbst, dass er eine "schamlos romantische Liebesgeschichte, in der die Menschen darauf bestehen, ihr Leben in ein Märchen zu verwandeln", im Sinn hatte. Und Alicja Bachleda-Curús ist mit ihrem Loreley-Haar ein durchaus glaubhaftes Zauberwesen.