Ein Durchschnittsmensch wird wider Willen zum Helden - das ist ein klassischer Stoff der italienischen Komödie. Fanden Sie so den Ausgangspunkt zu Ihrer filmischen Reise durch Rom?

WOODY ALLEN: Anfangs hatte ich eine Idee: Ein vollkommen durchschnittlicher Typ geht morgens aus dem Haus und stößt auf eine Horde von Paparazzi: Er ist plötzlich berühmt, weiß aber nicht, warum. Die Geschichte gefiel mir, aber sie konnte keinen ganzen Film tragen, also habe ich daraus eine Episode gemacht. Ich hatte Glück, dass Roberto Benigni diese Rolle annahm, denn er hat seit Jahren nicht mehr fürs Kino gearbeitet und war mehr am Theater und seinem Projekt der Divina Commedia interessiert. Als er zusagte, war mir klar, dass ich diese Idee verfilmen würde.

Ihr Film ist eine Hommage an die italienische Komödie der 60er-Jahre. Woher rührt Ihre Liebe zum italienischen Kino?

ALLEN: Als ich noch ein junger Cineast war, hatte das italienische Kino in New York eine große Bedeutung. Wir sahen jede Woche einen Film von Vittoria de Sica, Federico Fellini, Pietro Germi, Mario Monicelli oder Michelangelo Antonioni. Ich wollte alle diese Filme sehen, denn selbst wenn uns das französische, schwedische und restliche europäische Kino wichtig war, zählte das italienische Kino noch viel mehr.

Sigmund Freud vermied Rom, weil die hektische und laute Stadt seine Neurosen verstärkte. Welche Wirkung hatte die Stadt auf Sie?

ALLEN: Genau das wollte ich im Film zeigen: In Rom gibt es unglaublich viel Lärm und alle Menschen sind dort unglaublich lebendig. Sie laufen herum, sitzen in den Cafés oder auf den Treppenstufen, fahren wie die Wilden mit ihren Autos und Vespas durch die Gegend. Es gibt nicht einmal richtige Bürgersteige. Dennoch sehen die Menschen in Rom nichts tragisch, sie lieben das Essen, das Kino und die Oper und wissen, wie man das Leben genießt. Sie sind ständig auf der Straße, schreien durcheinander, und dieser wahnsinnige Verkehr prägt diese wunderbare Stadt. In diesem Gewimmel kann man mit jedem Schritt neue Figuren entdecken.

Sind Neurosen ein Geschenk oder eine Bürde für Sie?

ALLEN: Oh . . . ich glaube nicht, dass Neurosen ein Geschenk sind, denn sie bringen eine Menge Leiden und Probleme mit sich. Äußerlich wirkt ein neurotischer Mensch sehr lebendig und interessant. Neurotische Frauen können unglaublich aufregend sein, aber wenn man sich ihnen dann nähert und mit ihnen lebt, wird alles sehr kompliziert. Vor allem für sie sind die Neurosen schmerzhaft.

Die meisten Ihrer männlichen Figuren fühlen sich von einer neurotischen Frau angezogen. Ist es in den Filmen so wie im Leben: Oft wählt man den falschen Menschen?

ALLEN: Ja, das passiert uns allen, denn es ist schwer, die richtige Frau oder den richtigen Mann zu finden. Das Leben und die Menschen sind kompliziert und man muss ein unglaubliches Glück haben, durch Zufall auf den passenden Menschen zu treffen. Kleine Neurosen sind eine Zeit lang großartig, aber dann gewinnen die negativen Seiten die überhand. Sie sind gut für die Kunst, aber machen zu Hause keinen Spaß.

Warum spielt Penelope Cruz eine Prostituierte, warum gibt es überhaupt so viele Prostituierte in Ihren Filmen und was wäre, wenn deren Beruf verboten würde?

ALLEN: Die Prostitution wird nie verboten sein. Man kann sie strafbar, aber nicht unbeliebt machen. Als ich wusste, dass Penelope in diesem Film spielen wollte, habe ich die anfangs kleine Rolle der Prostituierten erweitert und ausgebaut. Ich finde Prostituierte interessant, weil sie ein Leben am Rand der Gesellschaft führen. Sie bergen ein Element der Gefahr und des Skandals und man kann sie daher leicht in tragische Situationen verwickeln. Bei einer Sekretärin oder einer Lehrerin wäre es schwieriger, eine Gefahr zu erfinden. Bei Prostituierten ist das viel leichter. Schauen Sie sich nur Fellinis "Die Nächte von Cabiria" an: Dadurch, dass sie eine Prostituierte ist, ergibt sich sofort eine Menge Stoff. Bei einem Büromädchen, das geheiratet werden will, sähe das ganz anders aus.

Denken Sie eigentlich darüber nach, sich zur Ruhe zu setzen?

ALLEN: Mich zur Ruhe setzen? Nein! Ich habe Freunde, die in Rente gehen und es mögen. Sie gehen angeln, fahren nach Europa, verfolgen Ballspiele, spielen Karten und stehen spät auf. So etwas könnte ich nicht. Niemals auf der Welt! Vielleicht ändere ich eines Tages meine Meinung, aber ich liebe es, morgens aufzuwachen, meine Kinder zur Schule zu bringen, ein paar Turnübungen zu machen und mich dann zur Arbeit zu setzen. Ich liebe es zu arbeiten. Ich denke bei der Arbeit nie darüber nach, mich zur Ruhe zu setzen. Also gibt es dafür keinen Grund. Aber wenn niemand mehr dafür zahlen will, um meine Filme zu sehen, dann werde ich wohl dazu gezwungen sein.

Werden Sie weiter Filme im "europäischen Exil" oder bald wieder in New York drehen?

ALLEN: Ja, ich werde weiter in Europa arbeiten. Neben Ländern wie Schweden, Deutschland und Österreich haben mich auch Länder wie Südafrika, Brasilien, Argentinien, Russland und China kontaktiert, ob ich nicht dort drehen will. Wenn ich eine passende Idee finde, gerne überall. Aber mein nächster Film spielt in New York und San Francisco. Er wird ernster und dramatischer sein, darin spielen Alec Baldwin, Cate Blanchett, Peter Sarsgaard und auch die wunderbare Britin Sally Hawkins mit. Es geht um einen Konflikt zwischen zwei Schwestern, mehr kann ich dazu nicht sagen. Aber es gibt diesmal keine Prostituierten.

Sie treten ja oft in Jazzbands als Klarinettist auf und spielen in "To Rome With Love" einen Opernregisseur. Welche Rolle spielt die Musik in Ihrem Leben?

ALLEN: Musik ist unglaublich wichtig für mich. Ich bin mit ihr aufgewachsen und liebe Jazz genauso wie Opernmusik. Ingmar Bergman, mein Lieblingsregisseur, fand Musik in Filmen barbarisch. Für mich dagegen ist die Musik ein wesentlicher Teil eines Films. Ich habe viel Jazz und klassische Musik in meinen Filmen benutzt. Und gerade in "To Rome With Love" habe ich viele populäre italienische Lieder und Opernarien aufgenommen, weil sie eben ein wichtiger Teil der italienischen Kultur sind. In meinem ersten Film "Take The Money And Run" gab es eine schreckliche Szene, die niemanden zum Lachen brachte. Mein Cutter brachte mich auf die Idee, einen Jazzsong einzuspielen, und plötzlich war die Szene unglaublich lebendig. Damals wurde mir die Bedeutung von Musik bewusst. Sie entschied über das Leben oder den Tod einer Szene.

Warum sind denn die Frauen in Ihren Filmen immer mutiger als die Männer?

ALLEN: Ich habe mehr Achtung vor Frauen als vor Männern. Männer haben die Welt für Tausende von Jahren beherrscht, und schauen Sie sich das Ergebnis an! Wenn Frauen an der Macht wären, würden sie es besser machen. Nicht zu 100, aber immerhin zu 50 Prozent.

Also Hillary Clinton for President?

ALLEN: Ja, ich habe sie unterstützt, wie auch Obama. Ich finde ihn großartig.