Anlässlich der Premiere, die am Freitagnachmittag stattfindet, zeigte sich der Filmemacher am Donnerstagabend nach der Pressevorführung im Gespräch mit der APA erleichtert, dass das langwierige Projekt nun endlich seinen Auftakt feiert. Gleichzeitig äußerte er seine Enttäuschung darüber, dass sich das offizielle Österreich trotz zweier Wettbewerbsbeiträge aus Österreich nicht an der Croisette blicken lasse: "Wir sind ja so eine Sportnation, in der es nur zählt, wenn man mit Preisen nach Hause kommt. Aber ich finde, das ist in dem Fall eine falsche Einschätzung der Lage."

APA: Das "Paradies" war ein riesiges Projekt, das sich über Jahre gezogen hat. Wie erleichtert ist man, wenn nun der erste Teil an die Öffentlichkeit gelangt?

Seidl: Ich bin natürlich sehr erleichtert. Man muss ja bedenken, dass ich schon seit 2008 an diesem Projekt arbeite, und das hat durchaus Höhen und Tiefen gehabt. Aber jetzt ist das Ergebnis wirklich etwas, auf das ich stolz sein kann. Ich habe drei Filme, die einen Kosmos einfangen - und es sind trotzdem auch drei einzelne Filme. Und wenn man mit dem ersten gleich in Cannes starten kann, ist das auch keine Selbstverständlichkeit.

APA: Der Film wirkt sehr genau komponiert, trotzdem besteht viel Raum für Improvisation und Zufall. Wie kann man sich das in der konkreten Arbeit vorstellen?

Seidl: Ich habe schon sehr genaue Vorstellungen, was ich möchte. Aber ich arbeite sehr bewusst auch mit dem Zufall. Ich habe für eine Szene zum Beispiel gewisse Vorstellungen, aber wenn ich diese in ein dokumentarisches Umfeld setze, rechne ich damit, dass sich Dinge ergeben, die sich sonst nicht ergeben würden. Die Zusammenführung von Zufälligkeiten zu einer Art geplanten Inszenierung, das reizt mich sehr.

APA: Das Drehbuch ist also gar nicht zwingend notwendig?

Seidl: Das Drehbuch ist die Grundlage, mit der man Finanzierungen und Produktionstechnisches realisiert, aber die Drehbuchseiten werden nicht exekutiert. Stattdessen ergeben sich dann - anhand der Geschichte - vor Ort, also an den Schauplätzen gewisse Dinge anders. Und darauf reagiere ich, verwerfe auch Dinge, die ich mir vielleicht ursprünglich anders ausgedacht habe. Die Ergebnisse des Tages sind schließlich ausschlaggebend dafür, was ich am nächsten Tag drehen möchte.

APA: Die Eröffnungsszene mit der Behindertengruppe im Autodrom fällt ein bisschen aus dem Rahmen. Wie kam es dazu?

Seidl: Mit der Szene wird man als Zuschauer in den Film hineingeworfen, das finde ich sehr gut. Inhaltlich erzählt es, dass Teresa eine Behindertenbetreuerin ist. Aber tatsächlich erzeugt die Szene gleich zu Beginn eine starke Emotion, mit diesem Effekt wird man richtiggehend hineingezogen.

APA: Was sind denn in Cannes die Erwartungen des Produzenten Ulrich Seidl an den Regisseur Ulrich Seidl?

Seidl: Den besten Film zu machen, den man machen kann. Da gibt es keine Diskrepanz zwischen Regisseur und Produzenten, denn wenn der erste den besten Film macht, den er machen kann, dann hat der zweite den besten Film, den er verkaufen kann. Für die Verkäufe ist aber ohnehin der Weltvertrieb zuständig, das ist nicht mehr meine Arbeit.

APA: Es gab im Vorfeld des Festivals die Kritik, dass nur männliche Regisseure im Wettbewerb laufen. Nachvollziehbar?

Seidl: Also ich bin gegen Frauenquoten. Ich finde, dass sich Frauen nichts Gutes tun, wenn man Frauenquoten verlangt, denn letzten Endes geht es immer um Qualität. Wenn es einen Wettbewerb gibt, in dem nur Frauen vorkommen, weil sie die besseren Filme gemacht haben, wäre mir das genauso recht.

APA: Erstmals laufen heuer zwei österreichische Filme im Wettbewerb. Hat das noch mal eine spezielle Bedeutung?

Seidl: Es ist natürlich ein Zufall, aber es ist auch ein ganz tolles Lebenszeichen des österreichischen Films. Es ist ein Doppelsieg. Man muss bedenken, Österreich ist ein wahnsinnig kleines Land im Vergleich zu all diesen teilnehmenden Ländern. Und in einem Wettbewerb, in dem sich die 22 besten Filme aus aller Welt befinden, ist das ein großer Erfolg, der bei uns sicher noch nicht so durchgedrungen ist. Wir sind ja so eine Sportnation, in der es nur zählt, wenn man mit Preisen nach Hause kommt. Aber ich finde, das ist in dem Fall eine falsche Einschätzung der Lage.

APA: Das offizielle Österreich lässt sich trotz dieser einmaligen Situation nicht in Cannes blicken...

Seidl: Die Kunstform Film ist in Österreich halt doch noch sehr dritt-, viert-, fünftrangig. Es ist nach wie vor so, dass die Musik, das Theater, die Oper, die Literatur vorrangig sind. Der Film hat sich in Österreich noch lange nicht so durchgesetzt wie etwa in Frankreich. Schade.