Zauberspiel, Kolonialismusstudie, Tugendtraktat: Shakespeares "Der Sturm" kann vieles sein. Am Grazer Schauspiel richtet Regisseur Stephan Rottkamp mit diesen Aromaten ein intensives Rachedrama an. Von seinem Bruder und dem König von Neapel um sein Herzogtum betrogen, bringt der auf eine Insel verbannte Magier Prospero durch den titelgebenden Sturm ein Schiff zum Kentern, auf dem die beiden mit ihrem Gefolge reisen. Die Gestrandeten verwickelt er in ein Vexierspiel, in dessen Zuge eine Liebe gestiftet und Mordkomplotte verhindert werden müssen, ehe die vielleicht edelste Haltung wirksam wird, zu der der Mensch fähig ist: Vergebung.

Als Prospero ist die wunderbare Burgschauspielerin Barbara Petritsch zu sehen: ein rigider Rächer, gänzlich unerlöst im Hass auf die Verräter. Petritsch spielt das ohne eindeutige Geschlechtszugehörigkeit - diese wird erst relevant, weil der Regisseur auch ihre beiden Knechte, den Luftgeist Ariel und den Hexenbalg Caliban, von Frauen spielen lässt. Ersteren gibt Sarah Sophia Meyer als übermütigen, gutherzigen Kobold. Mit der atemberaubenden Bedingungslosigkeit, die innerhalb einer halben Saison zu ihrem Markenzeichen geworden ist, wirft sich die außerordentliche Julia Gräfner in die Rolle des unterjochten, tückischen Caliban.

Um dieses Trio gedemütigter Weiblichkeit gruppiert Rottkamp einen Karnevalszug glitzernder, überschminkter Tölpel, die ahnungslos über die Insel stolpern. Bühnenbildner Ralph Zeger hat dafür eine grandios finstere, schlammige Suhle gebaut, einen Morast aus Macht und Gier, der jeden besudelt, der ihn betritt. Am Ende sind sie alle fleckig und nass: die Knechte Stephano und Trinculo (Benedikt Greiner, Pascal Goffin), die sich selbst schon als Inselherren sahen, das Liebespaar Miranda und Ferdinand (Tamara Semzov, Raphael Muff), das ebenso zum Spielball von Prosperos Zauberkünsten wird wie das höfische Quartett Gerhard Balluch, Nico Link, Jan Fredrik Hofmann, Franz Solar.

Etliche hübsche Slapstickeinlagen trösten nicht ganz über die gar zu schneidigen Striche dieser nachtfarbenen Inszenierung hinweg. Die mündet nach knapp zwei Stunden immerhin in ein zärtliches, schönes Bild - wenn erst Ariels Mitleid mit den bußfertigen Bösewichten Prospero zur Barmherzigkeit und damit zur Einsicht nötigt, dass Weisheit ohne Güte nichts gilt. Und dass Vergebung schmerzt, wenn der Hass eine so bequeme Stütze war.