GRAZ. Am Ende könnte man fast glauben, der Zirkusdirektor heiße Samuel Beckett. Aber es ist Olle Strandberg, der sich diese wundersam absurde Revue "Underart" erdachte, die heuer zum schon traditionellen Cirque Noël ins Grazer Orpheum lädt. Seine "Ode an eine Bruchlandung", wie der Untertitel scheinbar witzig sagt, hat einen bitterernsten Hintergrund: 2005 stürzte der Schwede bei einem verpatzten Dreifachsalto so schwer, dass er sich zwei Halswirbel brach, das Rückenmark verletzte und vom Hals abwärts gelähmt war. Aber wie durch ein Wunder konnte er schon sechs Monate später - geschwächt zwar, aber voller Optimismus - wieder zurück in das für ihn beste Rehabilitationszentrum. In den Cirkus Cirkör, den er leitet.

Die poetische Show, die im November in Stockholm Premiere feierte und nach dem Grazer Gastspiel unter anderem auch in Paris gezeigt wird, ist also so etwas wie der Rückspiegel, aber auch der stete Blick auf das, was (nicht nur) Artisten immer begleitet: das Risiko und seine möglichen Folgen. "Ich denke, dass es für mich keine bessere Art gibt, über meinen Crash zu erzählen als mit den Mitteln des Zirkus selbst", sagt Regisseur Strandberg. Allerdings schuf er für seine siebenköpfige Truppe weniger ein Zirkusprogramm als vielmehr einen philosophischen Bühnenessay über die Schönheit, die Unbekümmertheit und gleichzeitig Zerbrechlichkeit des Lebens.

"Zeit und Raum waren für uns außer Kontrolle", heißt es in der Livemusik von Anna Ahnlund & Andreas Tengblad, die mit Gitarre, Geige, Schlagzeug, Theremin und mehr dem Abend eine fast psychedelische Grundierung geben. Zu Beginn braucht man Geduld, dem zunächst fast stillstehenden, melancholischen Spiel der Compagnie zu folgen. Aber schon bald entwickelt sich ein wunderbares Puzzle aus Dreigesang und Jonglage, Akrobatik und Modern Dance, Witz und Aberwitz.

Da wird ein Riesenpflasterstein auf einem Rollwagen hereingezogen oder auf aufgestellten Betten balanciert. Da schwirren Klänge und Keulen, schwingt ein Hulahoop-Ballett, türmen sich Artisten bis unter die Decke oder verklammern sich zu Instant-Skulpturen. Und über allen Szenen, die vom Fallen und Aufstehen erzählen, schwebt ein Zauber der Melancholie.

Spätestens wenn Methinee Wongtrakoon ihren Körper in einer bezaubernden Choreographie schindet und windet wie eine Urururenkelin des Laokoon, wenn die Artisten zum Finale per Kopfstand ins Wasser von Zierfischglaskugeln tauchen oder wenn als Draufgabe, oh, der "Tannenbaum" grünt, dann weiß man: "Underart" ist hier wohl am besten mit "Andersart" zu übersetzen.

MICHAEL TSCHIDA

Cirkus Cirkör: "Underart - Ode to a Crash Landing".
Eine Revue von Olle Strandberg.
Termine bis 6. 1. 2015. Ort: Orpheum Graz.
Karten: Ticketzentrum, Kaiser-Josef-Platz 10, Tel. (0 31 6) 8000.
cirque-noel.at, cirkor.se