Wie würden Sie Ihre „Beziehung“ zu Udo Jürgens beschreiben?


MARKUS SPIEGEL: Meine Beziehung war die eines Konsumenten. Ich hatte nie das Glück, mit Udo Jürgens zu arbeiten.


Hätten Sie gerne mit ihm gearbeitet?


SPIEGEL: Natürlich! Und ich hätte einiges von ihm lernen können, auch was das kommerzielle Musikgeschäft betrifft. Udo Jürgens hat ja im deutschsprachigen Raum alles abgedeckt – vom Schlager bis zum Chanson. Und er war in diesem großen Raum so gut wie kein anderer. Die anderen kommen erst mit großem Abstand.


Wer zum Beispiel?


SPIEGEL: Zum Beispiel ein Herbert Grönemeyer oder Reinhard Mey.


War Udo Jürgens für Sie ein Liedermacher?


SPIEGEL: Er war kein Liedermacher, das hätte ihn zu sehr eingeengt, er war ein Liedmacher. Und seine Lieder reichten vom harmlosen Schlager bis zum sozialkritischen Text. Ich kenne keinen Künstler in dieser Branche, der diesen Spagat geschafft hat.


Sprich vom „Griechischen Wein“ bis zum „Ehrenwerten Haus“.


SPIEGEL: Ja, das war seine Erfolgsformel. Er scheute sich einerseits nicht vor der süßen Melodik, das heißt vor dem Kitsch. Andererseits zwang er seine Fans, ihm zuzuhören.


Und er passte in keine Schublade.


SPIEGEL: Nein, die Schublade, wo er hineingepasst hätte, gab es nicht. Und was Udo Jürgens noch für mich war: der letzte Showmaster. Wo finden Sie noch jemanden, der stundenlang auf der Bühne steht und die Menschen unterhalten kann? Diese Generation von Künstlern ist ausgestorben.


Wie haben Sie persönlich die Entwicklung von Udo Jürgens wahrgenommen?


SPIEGEL: Das habe ich sogar sehr genau beobachtet. Er hat eindeutig als Schlagersänger begonnen. Aber von diesem Image hat er sich sehr schnell befreit, er ist sehr schnell weitergekommen – insbesondere nach dem Bruch mit seinem ersten großen Manager. Natürlich sind auch einem Udo Jürgens nicht alle Song-Kinder geglückt, wie er selbst zugegeben hat. Besonders geglückt sind ihm zum Beispiel Lieder, die er gemeinsam mit Michael Kunze geschrieben hat, etwa „Griechischer Wein“ und „Ich war noch niemals in New York“.


Könnte ein Erfolgsgeheimnis von Udo Jürgens auch Folgendes gewesen sein? Ich singe darüber, dass die Welt im Argen liegt. Aber ich singe auch darüber, dass es immer einen Ausweg gibt.


SPIEGEL: Natürlich ist das so! Das ist der Trick am Ganzen. Der Trick nämlich, dass die Menschen überhaupt zuhören. Motto: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Egal, ob im Film oder in der Musik: Nur die Realität abzubilden, ist natürlich auch möglich. Aber damit erreicht man keine Massen. Den Massen muss man immer einen Ausweg lassen. Und in Udo-Jürgens-Liedern gibt es trotz Ungemach immer Hoffnung. Darauf kann ich mich als Konsument verlassen. Darauf nämlich, dass es am Ende des Horizontes immer ein Licht geben wird, garantiert. Dieses Aufrechterhalten von Zuversicht ist eine hohe Kunst, das darf man nicht unterschätzen oder gering schätzen.


Udo Jürgens wurde von vielen Menschen geliebt. Er selbst hat vielleicht zu wenig geliebt, hat er in einem seiner letzten Interviews gesagt.


SPIEGEL: Gelebt hat er auf alle Fälle. Bis zu einem gewissen Alter sehr heftig sogar. Eine gewisse Exzentrik muss man als Künstler auch haben, das ist das Destillat für das Schaffen. Und zum Privatleben: Schuld daran, dass das bei Künstlern oft nicht funktioniert, ist die Egozentrik. Aber ich betone: die absolut notwendige Egozentrik.


Beides also, große Karriere und geglücktes Privatleben, ist kaum möglich?


SPIEGEL: So ist es. Dutzendfach bewiesen in der Musikbranche!


War Udo Jürgens für Sie auch ein klassischer Popstar?


SPIEGEL: Nein, das war er nicht!


Warum nicht?


SPIEGEL: Ein Popstar wandelt sich, passt sich ständig an. Das hat er nie getan. Udo Jürgens war im besten Sinne des Wortes ein Entertainer. Christina Stürmer zum Beispiel ist ein Popstar. Sie wandelt sich, sie passt sich an. Ob das funktioniert, ist wieder eine andere Frage. Der klassische Popstar bedient die Zeit, auch das hat Udo Jürgens nie getan. Er war zeitlos. Und er hat in seinen Texten gestichelt, aber nicht allzu fest zugebissen.