"Einpeitscher" haben auch keinen leichten Job. Die beiden Herren in der Wiener Stadthalle sind eh bemüht, die Fans vor dem Start des Finales in die richtige Stimmung zu befördern. Auch unterhaltungstechnische Details wollen erklärt werden – das "Schunkeling" zum Beispiel. Die Sicherheitsleute im Saal sind am Final-Abend nett, aber streng. Auf das Wort "Stehplätze" wird großen Wert gelegt. Wer sich kurz hinsetzt, wird ermahnt. Wer sich irgendwo anlehnt, wird ermahnt. "Stehplätze“, wie gesagt.

Die rund 11.000 Menschen im Saal sind bunt, laut und guter Dinge. Ein Fähnchenmeer flutet durch die Halle. Fahnenmäßig hat Israel die Nase vorne; bei der Reihung nicht, wie sich später zeigen wird (Platz 9). Am schrillsten kostümiert sind die Briten – beim Voting für den GB-Beitrag schlug sich das gar nur mit fünf Punkten zu Buche (Platz 24). Noch gesichtet: Viele, viele Plastikkängurus, die durch den Saal hoppelten. Vielleicht nicht hilfreich für jene, die noch immer Australien und Austria verwechseln.

Als es um 21 Uhr losging, wurde ein üppiges Österreich-Paket geschnürt. Wiener Symphoniker-Zuspielung aus Schönbrunn, Sängerknaben, internationaler Kinderchor und Rapper Left Boy auf der Bühne der Stadthalle. Das war süß – zu süß vielleicht. Das Moderatorinnen-Trio Kiesbauer/Weichselbraun/Tumler stimmte kurz die Contest-Hymne "Building Bridges" an. Das Trio sollte es beim Moderieren belassen. Apropos: Warum gleich drei zweifelsohne eloquente Damen diesen nicht gerade abendfüllenden Job erledigen mussten, ist nicht wirklich nachvollziehbar. Conchita als Co-Moderatorin, die zwischendurch immer wieder die Teilnehmer interviewte, machte eine gute Figur, war aber schon einmal besser in Form.

Moderieren ja, singen nein. Tumler, Weichselbraun, Kiesbauer
Moderieren ja, singen nein. Tumler, Weichselbraun, Kiesbauer © AP

Genug gemäkelt. Die Show selbst lief ohne Pannen über die Bühne. Die 27 Beiträge waren eine Mischung aus Opulenz, Pathos, Balladen-Power und einigen leisen Zwischentönen. Der Contest wurde in 45 Länder übertragen, erstmals auch nach China. Apropos Übertragung: Wer den Contest via  TV verfolgt, sieht besser. Live in der Halle schwirren stets Kameraleute über die Bühne und verdecken die Künstler. Die Stimmung in der Halle brodelt von Beginn an, auf den Rängen ist es bequemer, aber auch fader. Promis sind übrigens offenbar schlecht bei Fuß. Immer wieder kurven Caddies durch die Gänge, um VIPs von Punkt A nach Punkt B zu bringen.

Völkerverständigung überall

Schnell ist klar. Das Publikum ist immer dann besonders begeistert, wenn es etwas für das Auge geboten bekommt. Nicht von ungefähr heißt es "Show" - zeigen. Bei der Französin fliegen weiße Tauben aus Kriegsruinen, Nadav aus Israel lässt eine Pyro-Orgie steigen, die schwergewichtige Serbin punktet mit ihrer Balkan-Version von Beth Ditto. Und auch die animierten Strichmännchen des späteren Siegers aus Schweden haben es den Menschen angetan. Der Contest steht für großes Drama, die Augen müssen Ohren machen, sonst ist man schon verloren.

Völkerverständigung im Saal, Völkerverbindung auch draußen vor der Tür. Der Typ aus Irland baut Brücken zu einer blonden Österreicherin und lobt den Beitrag der Makemakes: "Der Sänger klingt wie der Sänger von den Kings of Leons", schmeichelt er. Das hört die blonde Dame gerne. Telefonnummern werden ausgetauscht, um die musikalischen Diskussionen oder was auch immer später zu vertiefen.

Apropos Makemakes: Das Trio lodert musikalisch, das Klavier brennt gut; warum das dennoch mit null Punkten bestraft wurde, mag daran liegen, dass sich die Burschen aus dem Salzkammergut so gar nicht an die Hochglanzwelt des Song Contest anpassten. Wären sie als gelackte Boygroup über die Bühne gehüpft, hätten sie vermutlich mehr Punkte eingefahren. Doch Dominic, Markus und Florian sind weder stylish noch freakig, sie sind schlichtweg normale Vollblutmusiker. So etwas kann einem in dieser Glamourwelt zum Verhängnis werden. Dass auch Ann Sophie, die für Deutschland startete und mit der sich die Makemakes im Zuge des Contest "verbrüdert" hatten, null Punkte verdauen musste, ist eine eigenartige Ironie des Schicksals.

Zwischen Show und Voting begeisterte Martin Grubinger und sein Percussion-Ensemble. Diese neun Minuten waren ein einziger Paukenschlag – die beste musikalische Darbietung des Abends. Im Contest-Kosmos wäre sie wohl auch mit null Punkten bewertet worden. Mehr Punkte hätte es für die Conchita-Songs gegeben: "Your Are Unstoppable" schmachtete die Omnipräsente in den Saal, zu "Firestorm" wurde dann noch flott abgetanzt.

Percussion-Künstler Martin Grubinger
Percussion-Künstler Martin Grubinger © ORF

Das Voting selbst sollte eigentlich für Spannung sorgen, tat es an diesem Abend aber kaum. Schon bald stand fest, dass sich Schweden, Russland und Italien das Match ausmachen werden – alle anderen Teilnehmer waren weit abgeschlagen. Die Voting-Einspielungen haben bis auf vier technische Pannen funktioniert, die Präsentatoren in den jeweiligen Ländern bedankten sich brav für die "Great Show in Vienna". Nur der Herr aus Moskau sorgte für ein Witzchen. "12 Punkte aus Russland für – Russland." Putin hat das vielleicht gar nicht als Scherz empfunden.

Um 0.45 Uhr war der ganze Zauber vorbei. An den Merchandising-Ständen wurde noch schnell eingekauft: Kapperl um 15 Euro, Shirts um 29 Euro, die Anstecker sind mit fünf Euro wohlfeil. Nur jene in Rot-Weiß-Rot waren ausverkauft. Ein schwacher Trost für die Makemakes, doch diese Gruppe wird daran nicht zerbrechen. Abseits des Schweinwerferlichtes stehen Dominic, Markus und Florian in einer ruhigen Ecke und umarmen sich stumm. Eine kleine, wunderschöne Geste. Erfolge sind schnell vergessen, Freundschaften nicht.