Das Spektakel ist beendet, die ESC-Karawane kann weiterziehen: Der 60. Eurovision Song Contest in der Wiener Stadthalle spielte punkto Show alle Stückerln, doch rein musikalisch hinterlässt das Wettsingen einen etwas schalen Nachgeschmack – auch wenn das Niveau nach den "Horrorjahren" 2008 oder 2009, als noch skurrile Beiträge sonder Zahl die Veranstaltung dominierten, auch heuer deutlich gestiegen ist. An der Spitze landeten zwei von Anfang an hochfavorisierte Beiträge aus Schweden und Russland, die jedoch eher als der kleinste gemeinsame Nenner Europas zu bezeichnen sind denn als die beiden stärksten Songs beim Grand Prix Eurovision de la Chanson.

Mans Zelmerlöw, der einen Start-Ziel-Sieg einfuhr und von Anfang weg bei allen Buchmachern ganz vorne gelegen hatte, bot einmal mehr perfekten, eingängigen Pop made in Sweden, wie gemacht für die Radiostationen des Kontinents. Doch von "Heroes" werden langfristig wohl eher die genialen Strichmännchen-Animationen in Erinnerung bleiben, weniger der Refrain. Der skandinavische Triumph "verhinderte" aber zumindest einen Sieg der russischen Vertreterin Polina Gagarina, die mit ihrer vor Pathos triefenden Allerwelts-Popnummer „A Million Voices“ den Wettbewerb tatsächlich fast nach Moskau geholt hätte – ein Jahr nach Conchita Wurst. Doch die bunte, schrille ESC-Fangemeinde, vielfach aus der "Gay Community" stammend, und Putins Zarenreich, das passt derzeit nicht wirklich zusammen.

Auf Platz drei dann die jungen italienischen Tenöre von Il Volo – eigentlich zwei Tenöre, ein Bariton –, die bezüglich Gesangstalent wohl in einer eigenen Liga spielen, auch wenn das sehr kitschige "Grande Amore" nicht ganz ihre stimmliche Bandbreite widerspiegelte. Doch Gianluca, Ignazio und Piero werden den verpassten Sieg locker verschmerzen können, haben sie sich doch schon längst eine sehr erfolgreiche internationale Karriere aufgebaut. Damit bleibt "Molitva" der Serbin Marija Serifovic der letzte nicht in Englisch gesungene Siegertitel (2007). Serifovic war auch die letzte Gewinnerin, die bloß dank ihrer außergewöhnlichen Stimme, weniger wegen großartiger Showeffekte reüssieren konnte. Apropos Serbien: Auch Landsfrau Bojana Stamenov hätte man den Triumph gegönnt, alleine schon wegen der tollen ESC-Message "Finally I can say, yes I’m different and it’s okay".

Der coolen und modernen Nummer aus "Down Under" gelang ebenso wenig der Sprung aufs Stockerl wie dem israelischen "Golden Boy" mit seinem Partykracher. Ebenfalls in den Top Ten, aber halt nicht ganz oben, Belgien und Lettland mit ihren spannenden musikalischen Experimenten. Mit Platz 14 völlig unter Wert geschlagen wurde auf jeden Fall Slowenien, das zu Recht lange als Mitfavorit gegolten hatte. Ganz sanfte Töne schlugen die wohl charmantesten Beiträge des Abends an, zwei Duette, die wohl auch im Kielwasser des Vorjahrszweiten Niederlande (Common Linnets mit "Calm After The Storm") nach Wien geschippert waren: die düstere, melancholische Ballade aus Norwegen sowie das wunderbar schlichte, aber stimmungsvolle "Goodbye To Yesterday" aus Estland.

Noch ein paar Worte zu Österreich: Diesen letzten Platz mit null Punkten haben sich die Makemakes – und übrigens auch die Deutsche Ann Sophie – wirklich nicht verdient: Das Trio aus Salzburg wirkte sympathisch, bot einen guten Song und mit dem brennenden Flügel sogar einen echten Hingucker auf. Da waren andere Beiträge, etwa Georgien (11.) oder Montenegro (13.), deutlich schwächer. Natürlich kann Österreich nicht jedes Jahr damit rechnen, gewinnen zu können, doch ein Jahr nach dem großen Triumph der auch als Moderatorin unfassbar souveränen Conchita Wurst die "Rote Laterne" einzufahren, das kommt dann doch eher sehr selten vor und ist auch für ESC-Kenner eher überraschend.

STEFAN TAUSCHER