13. August

Plätschern zum Auftakt und die Sonne im Ohr

Regnerisch-kühles Wetter und ein Spagat zwischen FM4-Publikum und Ö3-Headliner Macklemore: der erste von vier Tagen Frequency.

Vom Insider-Schatzi zum massenkompatiblen Hip-Hop-Act: Einen genre- und geschmacksübergreifenden Spagat bescherte uns der Auftakt des erstmals vier Tage dauernden FM4 Frequency Festivals in St. Pölten. Während sich am Abend dicke Regenwolken auf die Massen ergossen, traten auf der (bislang einzigen Haupt-)Bühne zwei von Ö3 präsentierte Mainstream-Lieblinge an, um trotz miesen Wetters Festivalstimmung aufkommen zu lassen: die US-Hip-Hopper Macklemore und Ryan Lewis und davor die britische Popband Bastille.

Letztere sorgten dank einer Handvoll unausweichlicher Radiohits wie "Things we lost in the Fire" und "Pompeii" durchaus für etwas Sonne im Ohr. Das Angebot wurde dankbar angenommen, auch wenn ihr glatter Pop nur so dahinplätscherte. Sympathischer Aspekt: dass die Band scheinbar noch nicht auf der ganz großen Bühne angekommen ist - siehe auch die ungelenken Bewegungen von Mastermind Dan Smith. Für verklärte Erinnerungen an die Euro-Disco der Neunziger sorgte gegen Ende des Sets "On the Night", das humorvolle Medley aus Hits von Corona und Snap! - Musik, die wir lieber vergessen hätten und an die wir uns dann doch so gerne erinnern.

Die wahre Perle des ersten Tages stand schon am Nachmittag - dafür allerdings noch vor Einsatz des Regens - auf der Bühne: Conor Oberst, seit Jahren das Neofolk-Schatzi für Indie-Fans und Kritiker schlechthin, kämpfte wacker mit großartiger Band und noch großartigeren Songs (die meisten aus dem neuen Album "Upside Down Mountain") um wenige unaufgewärmte Fans.

Der Ansturm vom Campingplatz, auf dem sich die Mehrheit der Besucher am ersten Nachmittag noch häuslich einrichtete, erfolgte erst rechtzeitig zu Biffy Clyro: Die Schottenrocker machten - drei Fünftel der Band oben ohne, aber mit prächtigen Tattoos - klar, dass das bisschen Regen kein Hindernis für ordentliche Festivalstimmung ist: "Bei uns regnet es dauernd", sagte Sänger Simon Neil in lupenreinem Deutsch.

Neues Bühnendesign

Neu ist beim Frequency 2014 aber nicht nur der Beginntag am Mittwoch: Ein Rundgang über das Festivalgelände zeigte einige überraschende Neuerungen: So präsentieren sich heuer die Bühnen im Astronauten-Design, die VIP-Gäste verfolgen die Konzerte von einer Tribüne ein paar Meter über den Köpfen des Festivaldurchschnitts. Ein Getränkehersteller lädt treue Gäste gar auf sein exklusives "Flight Deck".

Morgen startet das Festival im vollen Ausmaß: Auf drei Tages- und drei Nacht-Bühnen haben sich unter anderem Queens of the Stone Age, Blink 182, Jan Delay, Snoop Dogg und Moonbootica angekündigt.

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14. August

Hände nach dem Himmel strecken

Frequency, Nacht eins und Tag zwei: 40.000 Fans trotzten dem "Sweater Weather" mit Kuscheln und Kostümen.

Für eines ist das schlechte Wetter gut: Der Wind trägt Macklemores Luftschlangen weit über das Festivalgelände, bis sie in den Bäumen hängen bleiben. In Österreich hatten Macklemore & Ryan Lewis mit "And We Danced" vor fünf Jahren ihren ersten Tophit, mittlerweile haben sie mehrfach Platz eins in den USA geknackt. Da strengen sie sich an, der Alpenrepublik auch ein bisschen Zuneigung zurückzugeben: "Wir lieben euch, Österreich!", ruft Ben Haggerty (alias Macklemore) ins Publikum.

Artig gelobt werden auch das gute Aussehen der Fans oder die köstlichen Würste. Überhaupt plaudert Haggerty viel, sogar für einen Rapper - schließlich ist sein Material mit erst eineinhalb Alben nicht abendfüllend. So wird der Hit "Can't Hold Us" auch gleich zwei Mal gespielt. Macht nichts, der einzige Fehler wäre gewesen, das sympathische Konzert mit Bläsern, Geigen und Konfettikanonen zu früh aufhören zu lassen. Am Ende singen die Fans selbst weiter: "So we put our hands up - like the ceiling can't hold us" ("Als ob die Decke uns nicht aufhalten könnte"). Der Nachthimmel schon gar nicht.

Anziehsachen

Gestern blieb es - entgegen aller Unkenrufe - (fast) trocken, aber kalt. Als Ouvertüre für den zweiten Nachmittag hatten The Neighbourhood aus Los Angeles mit "Sweater Weather" den perfekten Song im Tourgepäck. Danach die deutschen Stoner-Rocker Kadavar, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, den Pro-Metal-Sound der 70er originalgetreu auf die Bühne zu bringen. Mission gelungen - auch optisch. Überraschend anziehend wirkten Jimmy Eat World auf das junge Publikum - ihre Hymnen wie "Sweetness" sind schon fast so alt wie die jüngsten Besucher. So war der Bereich vor der Bühne schon bestens für die nächsten Bands gefüllt - wie das Kasseler Duo Milky Chance mit gefälligem, gemütlichem Indiepop und die Imagine Dragons mit "radioaktiven" Ohrwürmern.

Spätabends rockten die Queens of the Stone Age (ebenfalls im Programm: Josh Hommes Gattin Brody Dalle auf der Weekender Stage) und Blink 182. Dem hatte die Green Stage Super-Funk mit Jan Delay und Hip-Hop mit Snoop Dogg entgegenzuhalten. Und Maschek weihten derweil die neue "LOL Stage" ein - und redeten über das Festivalleben, Gott und die Welt.

Für das heutige Programm gibt es bereits eine Absage - mit Ansage: Die Babyshambles kommen nicht, und alle haben es wieder gewusst. Freuen darf man sich dafür auf Lily Allen (auch wenn sie gerade ihre Deutschland-Tour absagte), Skrillex und NOFX. Das Festivalwetter: bedeckt, leichter Regen, höchstens 20 Grad.

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15. August

Kunst- und Kultfiguren

Frequency, Tag drei und Nacht zwei: ein Headliner am Nachmittag und wie Woodstock anno 2014 aussehen könnte. Nackte Menschen inklusive.

Nicht, dass es da einen Wettbewerb gäbe, aber dass Marteria gestern um 16 Uhr mehr Publikum anlockte als die Headliner des Donnerstags, die Queens of the Stone Age, überrascht schon etwas. Oder auch nicht: Schließlich war das letzte Album des Rostocker Rappers hierzulande auf Platz zwei geschossen, die Single "Lila Wolken" (eine Kollaboration mit Miss Platnum) wurde sowohl von Heino (!) als auch von Peter Kraus (!) gecovert. Marteria jedenfalls macht alles richtig, bereitet die Hits festivalgerecht auf, hat brasilianische Stimmungsbomben als Backgroundsängerinnen und eine sehr gute Liveband mitgebracht - und gibt sich zwischendurch auch unter dem Alter Ego "Marsimoto" die Ehre.

Hip-Hop bestimmt gleichzeitig auch die Green Stage: Fiva, das gute Gewissen des deutschen Rap, die Geschichtenerzählerin mit Herz, ist der wohl sympathischste Act des gestrigen Tages - und steht nicht nur als Frau allein auf weiter Green-Stage-Flur: Auf sie folgt mit Millencolin, Ska-P und NOFX ein (fast) männliches Musikprogramm.

Wie Woodstock im Jahre 2014 aussehen könnte, zeigen auf der Hauptbühne die Basken Crystal Fighters. Sie haben ausgeflippte Kostüme (Indianerschmuck trifft Pfauenfedern!) und vor allen Dingen in ihren Electro-Hippie-Folk-Songs ganz viel positive Energie mitgebracht. Am Ende stürmen ein paar Nackte - aus Fotograf Gerrit Starczewskis "Naked Heart"-Projekt - die Bühne. Es könnte nicht perfekter sein.

Alles bestens ist auch beim Auftritt von Ärzte-Drittel Bela B., der (nicht nur) mit seinem goldenen Anzug (Hallo, Elvis!) begeistert, bevor der Belgier Stromae da weitermacht, wo die Crystal Fighters aufgehört haben.

Hyperstilisiert

Zurück zum bunten Pop-Sammelsurium des Donnerstags: Da bot der französische Videoregisseur-und-einstweilen-auch-mal-Musiker Woodkid ein hyperstilisiertes Set, von dem letztlich nicht viel hängen blieb. Imagine Dragons und Blink 182 bedienten die Erwartungshaltungen bis aufs Letzte. Selbiges kann auch über Queens of the Stone Age, wohl eine der besten lebenden Rockbands dieses Planeten, gesagt werden. Auch wenn Massen und Stimmung ausblieben.

Und dann war da noch Snoop Dogg (aka Snoop Lion): eine Mischung aus dem Zelebrieren der eigenen Kunst- und Kultfigur und einer Rockhit-Jukebox ("I love Rock 'n' Roll") im Trainingsanzug, in - klar - THC-geschwängerter Luft. Das war würdig und recht.

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16. August

Hier gelten andere Regeln

Frequency, der letzte Tag und die vorletzte Nacht: das Spiel mit Erwartungshaltungen, Überraschungseffekten und Erregungskurven.

Kunterbunte Sonnenbrillen, ausgeflippte Tierhauben, hipp(i)e Plastikblumenhaarbänder und jede Menge spaßige Werbeangebote diverser Firmen für die Konsumenten der Zielgruppe: Am Frequency-Festival-Jahrmarkt gibt es nichts, was es nicht gibt. Außer Gummistiefeln vielleicht. Die wurden am Stand eines Baumarkts verkauft - und waren schon am ersten Tag nach wenigen Minuten vergriffen.

Auch das Musikprogramm bietet so ziemlich alles von charterprobtem Pop bis hin zu (noch) weithin unbekannten Neuentdeckungen. Zwei davon haben bis dato noch nicht einmal ein Album veröffentlicht - dafür aber das Zeug dazu, den Glauben an die Zukunft der Gitarrenmusik wieder zu erwecken: Da wäre einmal Hozier, der gestern gerade einmal ein Grüppchen von Indie-Insidern auf der Green Stage versammelte. Sehr wahrscheinlich, dass sein hypnotischer Blues, hier dargeboten mit Piano, Cello und einer Vielzahl an verschiedenen E-Gitarren, rasch den Geheimtippstatus verlieren wird.

Weiter sind in dieser Hinsicht Royal Blood, zu sehen am Freitag auf der Weekender Stage: Das Duo aus Brighton bot in minimalistischer Bass-Schlagzeug-Besetzung (darf man Drum'n'Bass sagen?) einen extrem knackigen Entwurf von Garage-/Bluesrock dar. Jimmy Page ist bereits ein Fan, nun dürften ein paar Tausend dazugekommen sein.

Fest in britischer Hand waren (mit Ausnahme des Österreichers Parov Stelar) gestern die großen Bühnen: Vor Placebo, deren Auftritt die Fans nach dem Absage-Drama von 2012 entgegenfieberten, spielten die Kooks, die Editors, Travis und The Subways. Letztere haben zwar nur einen Hit ("Rock'n'Roll Queen"), aber ihren Sound so gut auf Festivalstimmung getrimmt, dass ihr recht einfallsloser Alternative Rock regelrecht gefeiert wurde. Festivals folgen anderen Regeln.

Pop versus Punk

Weniger homogen war das Programm Freitag am Abend, das sich zwischen den Polen Pop/Elektro und Punk aufsplittete: Auf der Green Stage hielten NOFX, Ska-P, Broilers und Millencolin die ausgebleichten Fahnen von Punkrock und Ska hoch, während sich die Hauptbühne bunten Pop-Varianten widmete. Die Überraschung des frühen Abends war hier der Belgier Stromae: Sein Mix aus Afrika-Pop (sein Vater stammte aus Ruanda) und House war äußerst geschmeidig. "Alors on danse", also, dann tanzen wir, das musste nicht extra gesagt werden.

Ein wenig ratlos ließ das Bühnenbild von Lily Allen zurück: meterhohe Babyfläschchen, die in bunten Farben leuchteten, passend zum koketten "Baby Spice"-Outfit mit Zöpfchen. Das Konzert war (so sehr man Allen auch mögen will) durchwachsen. Das Problem: zu viele Filler, zu wenige Triller - für ein einstündiges Set fehlte ganz einfach das Songmaterial. Ein Problem, das Skrillex nicht kennt, ganz im Gegenteil: Der US-Dubstep-Superstar ließ mit fiependen, knallenden, schrillen Beats die Erregungskurve im Sekundentakt ständig neu nach oben schnellen. Vor Kurzem wäre er noch der Alien im Frequency-Programm gewesen, heute zieht er die Massen an wie kein anderer.

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17. August

Auf der Suche nach Wärme und Spaß

Das war's für heuer: von eigenwilligen Frisuren und anderer Oberflächenkosmetik.

Wer ist denn das? Ein alter Zottel mit Rauschebart betritt die Bühne, als eigentlich Fran Healy erwartet wird. Moment, das ist tatsächlich der Travis-Sänger! Passenderweise heißt es im Opener "Mother" dann "Why did we wait so long", und erfreulicherweise klingen Healy und Band nicht so alt, wie sie aussehen. Ein gut gelauntes, intimes Konzert - auch, weil nicht besonders gut besucht. Ein Hit ist den Schotten schließlich schon seit zehn Jahren nicht mehr gelungen. Und: Fans von britischem Indie kommen zugleich bei den Kooks auf der Hauptbühne ebenfalls auf ihre Kosten.

Überhaupt stand der Abschlussabend im Zeichen des Vereinigten Königreichs. Nachdem Placebo 2012 ihren Auftritt nach nur einem Song abgebrochen hatten, nahmen sie nun die "Hürde" des zweiten Songs locker. Die 20 Songs stammen vornehmlich von "Loud like Love" und "Meds", die (freilich subjektive) Liste der nicht gespielten Hits ist länger als jene der gespielten. Ein Eindruck, der sich auch in der Zurückhaltung der Fans bestätigt: So richtig abgefeiert wird hier nicht, und das, obwohl ein bisschen Bewegung bei gerade einmal 13 Grad bitter nottun würde. Zu kühl scheint das - technisch natürlich tadellos gespielte und optisch hervorragend designte - Konzert. Das Publikum will Hits, Ansprache, lustige Spring- und Mitsing-Spielchen. Wie es kurz davor die Subways vorexerzierten.

Was die Besucher neben Spaß auch wollen, ist Wärme: Weil alle in die einzige Halle drängen, muss die "LOL-Stage" kurz vor Helge Schneider gesperrt werden. Später stürmen Fans die Bühne, der Auftritt wird abgebrochen. Da versteht selbst der Meister keinen Spaß.

Roboter für 400.000 Euro

Das wohl kälteste Frequency aller Zeiten lässt 200.000 erschöpfte Besucher und eine Erkenntnis zurück: Die Halbwertszeit großer Acts ist kürzer geworden, die Angst des einst "alternativen" Musikspektakels vor dem Mainstream verloren gegangen. Gleichzeitig will man sich in der internationalen Festivallandschaft durch das gelungene neue Geländedesign unverwechselbar machen. 400.000 Euro investierte Veranstalter Harry Jenner in Aufbauten, aufblasbare Roboter und Feuerwerk - so viel, wie angeblich ein Act in der Größenordnung Red Hot Chili Peppers kostet. Ob sich die Oberflächenkosmetik langfristig rentiert? In Zeiten von wachsendem Festivaltourismus wohl schon.