Der Antrieb für die Platte? "Wut", hält der Wiener Rapper Nazar fest. "Ich habe sehr viel Wut in mir gehabt." Besonders in den vergangenen beiden Jahren sei viel passiert. Insofern lag die Verarbeitung auf künstlerischem Weg nahe.

Konkret meint der Rapper im APA-Gespräch in erster Linie seine diversen Auseinandersetzungen mit der FPÖ, von Parteiobmann Heinz-Christian Strache (der ihn erfolgreich wegen Beleidigung klagte) abwärts. "Ich bin hinter den Kulissen sehr viel politisch schikaniert worden. Ich musste zum Verfassungsschutz wegen Volksverhetzung, wegen meiner Ansprache am Donauinselfest. Das sind Dinge, die einen Rapper sehr wütend machen, weil versucht wird, dich mundtot zu machen." Gelungen ist das keineswegs, greift Nazar doch auch auf "Irreversibel" wieder etliche heikle Themen auf.

Aus der Vergangenheit gelernt

"Ich habe aus meiner Vergangenheit gelernt, nicht mehr aggressiv darauf zu reagieren, sondern es in meiner Musik umsetzen", betont der Rapper, der bürgerlich auf den Namen Ardalan Afshar hört. "Ich wollte aber auch dieser Partei oder diesen Herrschaften nicht weiterhin eine Plattform bieten, indem ich sie erwähne oder Songs darüber mache. Also habe diese Wut einfach ins ganze Album verpackt." Das beginnt beim minimalistischen "Generation Darth Vader", führt über das knackige "La Haine Kidz" und mündet unter anderem in "Mein Viertel", für das sich Nazar neuerlich Sido als Unterstützung am Mic holte.

Zeilen wie "Jeder kriegt, was er verdient" oder "Wir sind die Generation mit Hass in der Brust" werden dem Hörer entgegengeschleudert: Hier wird eine Dreiviertelstunde lang Gangsta-Rap par excellence vorgeführt, wobei in der zweiten Hälfte einige ruhigere Momente Zeit zum Durchatmen bieten. Wer mit Kraftausdrücken und Zuspitzungen nichts anfangen kann, ist aber eindeutig fehl am Platz. "Für den Hip-Hop-Hörer ist das nicht schwer zu verstehen", erklärt Nazar seine direkten Texte über Gewalt und das Leben auf der Straße. "Für den Ö3-Hörer wiederum schon, für den wird es gewaltverherrlichend sein. Aber wenn der einen Kraftausdruck hört, ist für ihn wahrscheinlich sowieso die Welt schon vorbei. Für diese Menschen mache ich meine Musik aber nicht."

Dennoch: Nicht zuletzt seit dem Vorgänger "Camouflage" scheint Nazar am Zenit angekommen. Goldstatus, Spitze der Charts, ausverkaufte Konzerte - der Sprung aus dem Underground in den Mainstream wurde eindrucksvoll vollzogen. Ob und wie er ankommt, das ist für Nazar allerdings keine wichtige Frage. "Ich mache mir darüber keine Gedanken, weil ich mir in meiner Kunst und meinen Texten keine Grenzen setzen möchte. Wir machen Genremusik. Deutscher Hip-Hop ist leider immer noch eine Nische, obwohl er - bis auf Schlager - derzeit am erfolgreichsten ist. Dass es noch ein Nischending ist, liegt wahrscheinlich daran, dass es für viele Leute zu hart, zu extrem ist."

Vielen dürfte es auch schwerfallen, den sehr reflektierten Mann, der sich über die Gesellschaft Gedanken macht, mit dem harten "Gangsta" von Plattencover und Video in Einklang zu bringen. Wie weit geht das Image? "Ich wurde schon früh ins kalte Wasser geworfen", erinnert sich Nazar an seine Anfänge vor rund acht Jahren. "Bei meinem ersten Album war ich ein sehr frustrierter Junge von der Straße, der sehr aggressiv war, aber trotzdem alles für seine Musik getan hat. Und dann liefen meine Videos auf MTV und ich war in Untersuchungshaft und habe dort mein erstes Video gesehen. Viel mit Image kreieren oder inszenieren war da nicht", lacht der Rapper. Nicht zuletzt gibt er durch seine persönlichen Texte und eine teils entwaffnende Offenheit in Interviews viel von sich preis.

"Irreversibel" ist aber vor allem eines: Ein wütender Blick auf eine in vielen Fragen zerrissene Gesellschaft - und dabei eher düsteres Stimmungsbild denn auf konkrete Personen gemünzte Anschuldigung. "Der Punkt ist: Diese Politik, die wir jetzt haben, wird seit Jahren in Europa betrieben. Ich brauche den Leuten nicht mehr erklären, wer Strache ist, was die FPÖ ist und wie ihre Politik funktioniert oder was ihre Hintergedanken sind. Das wissen die Leute mittlerweile schon selber. Das Traurige ist aber, dass die trotzdem immer mehr Anhänger bekommen." Anstatt plakativ etwas darüber zu sagen und wieder eine Strafe zu riskieren, wolle er lieber klarmachen, "dass es ein gefährliches Spiel ist, das gerade alle spielen".

Damit spricht er u.a. die intensive Hetze gegen den Islam an. "Religion sollte eine sehr private Sache sein, die in den letzten Jahren eh schon von allen Seiten - sowohl von den Christen als auch Moslems - viel zu wichtig genommen wurde und viel zu sehr in die Öffentlichkeit gedrängt wurde." Andererseits seien Scherze über Religion, egal in welcher Form, "reine Provokation", so Nazar. "Ich habe mit deiner Religion nichts zu tun. Ich muss sie nur zu 100 Prozent respektieren, weil wir in diesem Land leben und ich auch so erzogen wurde, dass ich jeden Menschen und jede Religion respektiere - egal, wie sie ist. Ich würde mir nie anmaßen, mich darüber lustig zu machen."

Letztlich appelliert er an den gesunden Menschenverstand. "Ich hoffe, dass die Leute darüber nachdenken, was sie tun und was sie sagen." Das gelte auch für die Stichwahl um das Amt des Bundespräsidenten, wobei sich Nazar diesbezüglich relativ zurückhaltend zeigt. Man könne schwer abschätzen, was mit Österreich passieren würde, schaffe FPÖ-Kandidat Norbert Hofer den Einzug in die Hofburg. "Wenn man ehrlich ist, hat der Typ sich einfach perfekt präsentiert, was leider Gottes nicht allen anderen Kandidaten gelungen ist."

Für ihn gehe es aber um eine andere Frage: "Die Mischung wird nicht gut, wenn Hofer Präsident und dann auch noch Strache Bundeskanzler wird. Dann hätte man das Gleiche, was jahrelang Rot-Schwarz vorgeworfen wurde: Dass dort viel zu viele gleiche Leute im Boot gesessen sind, die dann keine auf den Deckel bekommen haben, wenn etwas schief gelaufen ist." Er persönlich würde sich Alexander Van der Bellen als Präsident wünschen, "weil ich glaube, dass er uns auch international sehr gut vertreten könnte. Alles andere wird die Zeit zeigen. Man muss aber trotzdem alles - egal was passiert, denn Gott sei Dank leben wir in einer Demokratie - akzeptieren. Das ist einfach so."

(Das Gespräch führte Christoph Griessner/APA)