INHALT

Die junge Spanierin Konstanze, ihre englische Zofe Blonde und der Diener Pedrillo wurden von Piraten geraubt und in der Türkei als Sklaven an den Bassa (Pascha) Selim verkauft. Der junge spanische Edelmann Belmonte, Konstanzes Verlobter, hat den Aufenthaltsort der Geraubten ausfindig machen können und ist dorthin gekommen, um sie zu befreien.
Mit List und Tücke verschafft sich Belmonte Zugang zu Selims Palast (Serail), indem er sich als fremder Architekt ausgibt. Selim, der sich für die Baukunst interessiert, ahnt zunächst noch nichts von der List des Fremden. Im weiteren Verlauf gelingt es Belmonte, zu seiner Konstanze vorzudringen, die ihn nach wie vor liebt.
Bassa Selim erkennt in Belmonte den Sohn seines Feindes, der ihn einst aus seiner Heimat vertrieb. Wider Erwarten verzeiht er ihm jedoch und schenkt den Verschleppten die Freiheit. Er will die Grausamkeit von Belmontes Vater mit Großherzigkeit vergelten. Die Liebenden, Konstanze und Belmonte, schwören sich ewige Treue und preisen den Edelmut Selims.

IDEE

(Was die Grazer Oper zu ihrer Produktion verspricht)

Wie viel Treue kann man von seinem Partner erwarten? Und wie viel von sich selbst? Wo beginnt Fremdgehen? In dem Moment, in dem man sich zu einem anderen hingezogen fühlt? Oder erst, wenn man sein Begehren formuliert oder gar auslebt? Auch von diesen Fragen handelt Mozarts Türkenoper „Die Entführung aus dem Serail“. Bassa Selim, der Konstanze in sein fremdes Reich entführt hat und sie auffordert, sich ihm freiwillig hinzugeben, wird zum Auslöser für eine Beziehungskrise zwischen Konstanze und Belmonte. Leichter hat es Blonde, die von des Bassas Haremswächter Osmin physisch bedrängt wird und scheinbar neben ihren Gefühlen auch ihren rechtmäßigen Liebhaber Pedrillo fest im Griff hat. Doch sind sie noch dieselben, wenn ihre Männer sie schließlich zurück entführen? Regisseurin Eva-Maria Hockmayr verhilft altbekannten Opernhandlungen zu überraschender Wirkung, indem sie konsequent dem subjektiven Blick einzelner Figuren auf ihre Geschichte folgt. Mit derartigen Lektüren von „Otello“ in Freiburg, „Pelleas et Melisande“ in Aachen und „Madama Butterfly“ in Weimar feierte sie große Erfolge und inszeniert nun u.a. an der Oper Frankfurt und der Staatsoper Berlin.

UNSERE NACHTKRITIK

100 Jahre zuvor war Wien durch die Türkenbelagerung noch in Angst und Schrecken versetzt worden, aber 1782 geriet die Geschichte einer jungen Dame und ihrer Dienerin, die in die Gefangenschaft eines Türken geraten, zu einem "Heidenspaß" für die Wiener und somit zum veritablen Kassenschlager. Denn Wolfgang Amadeus Mozart hatte mit der "Entführung aus dem Serail", uraufgeführt im Hoftheater, ganz den Geschmack seines Publikums getroffen und ihm zudem mit Anklängen an die türkische Militärmusik, an ein Janitscharenorchester mit Piccoloflöten, Triangel, Tschinellen und großer Trommel, ein orientalisch prächtiges Vergnügen bereitet. Einzig Kaiser Joseph II., eher altmodisch eingestellt, raunte: “Zu schön für unsere Ohren und gewaltig viel Noten, lieber Mozart.” Der aber entgegnete mit gewohnter Raffinesse: “Gerade so viel Noten, Euer Majestät, als nötig sind.”

Nun nahm sich an der Grazer Oper Eva-Maria Höckmayr des beliebten Singspiels an, das eine feine Melange aus unterhaltsamer Komödie und emotionalem Tiefgang bietet. Bei ihrem Hausdebüt entkernte die 36-jährige Würzburgerin Mozarts Erfolgstück, auch durch Brechungen und Verschiebungen, zu dramatischen Szenen einer Ehe, in denen gebuhlt und nebengebuhlt wird. Bei Belmonte und Konstanze im Schlafzimmer, eingerichtet in XXXLutz-Ästhetik, da wähnt man sich eingangs in einer Episode der "Vorstadtweiber". Sie phantasiert - hörbar durch ihre Stimme aus dem Lautsprecher - vor Videosequenzen von einem Seitensprung, er wirkt immer noch so verliebt wie neu verunsichert. Der Anfang vom Ende oder das Ende vom Anfang?

Quasi von der Bettkante aus entwirft Höckmayr in der Folge ein psychologisches Kammerspiel, das vom Suchen und Finden erzählt, nur halt von Liebenden ganz anders auf der Flucht und weit abseits vom Palast des Bassa Selim. Freuds Traumdeutung und Schnitzlers "Traumnovelle", Kubricks Kinoerotismus "Eyes Wide Shut" statt eines Harems und eine hedonistische Spaßgesellschaft statt einer türkischen Heerschar, dazu Erzählungen der Scheherazade, aus denen auch die kleine Tochter von Konstanze und Belmonte vorliest... Alles schwingt mit. Ja, das ist zwischendurch gar viel auf einmal. Und dennoch gelingt der sehr in und mit der Musik inszenierenden deutschen Regisseurin eine nicht durchgehend sinnfällige, aber immer sinnliche Deutung des Mozart'schen Singspiels und darüber hinaus eine dichte Allegorie auf die Liebe und ihre tausendundeine Macht.

Auf der fabelhaft wendigen Bühne von Esther Dandani und Julia Rösler, die auch die originellen Kostüme geliefert hat, wird musikalisch hohes Niveau geboten. Allen voran von Sophia Brommer als zerrissener Melancholikerin Konstanze, einmal in Strapsen und einmal im Pyjama. Und von Cathrin Lange, die als selbstbewusster Vamp und betörend bis in höchste Töne die Blonde mit genug Rebellischem ausstattet, denn “Mädchen sind keine Ware zum Verschenken . . . Männer sind unsere Sklaven”. Mirko Roschkowski singt nicht ganz unangestrengt prächtig den Belmonte, überzeugt aber darstellerisch. Taylan Reinhard lässt sich mit Lust auf die Figur des Dieners Pedrillo ein, Peter Kellner gibt den Osmin mit Verve als dämonischen Dschinn. Und eine ganz eigenwillige Sprechrolle hat Martin Dvorak als Bassa Selim, denn die (stumme) Sprache des Brünners ist der Tanz.

Dirk Kaftan befeuert von Beginn an den Graben. „Die Sinfonie, den Chor im ersten ackt, und den schluß Chor werde ich mit türckischer Musick machen“, schrieb Mozart in einem Brief an seinen Vater, aber das Orchester hat unter seinem energischen Chefdirigenten auch sonst genug Gelegenheit, orientalisches Feuer auszubreiten. Die "Türkenoper", die offensichtliche Parallelen zu Mozarts privater Situation enthält (zur Zeit der Komposition bahnte sich ja seine nicht unkomplizierte Liebe zu Konstanze Weber an), gelang den Philharmoniker jedenfalls bis auf ein paar Abstriche wohl so, wie es sich auch der Herr Hofcompositeur aus Salzburg gewünscht hatte: "Und ich glaube, man wird dabei nicht schlafen können, und sollte man eine ganze Nach durch nicht geschlafen haben."

Michael Tschida

ZUR AUFFÜHRUNG

"Die Entführung aus dem Serail" von Wolfgang Amadeus Mozart. Singspiel in drei Aufzügen, Text von Johann Gottlieb Stephanie d. J. In deutscher Sprache mit Übertiteln.(Uraufführung: 16. Juli 1782, Hoftheater, Wien)
Dirigent: Dirk Kaftan
Regie: Eva-Maria Höckmayr
Bühnenbild: Esther Dandani, Julia Rösler
Kostüme: Julia Rösler
Konstanze: Sophia Brommer
Blonde: Cathrin Lange
Belmonte: Mirko Roschkowski
Pedrillo: Taylan Reinhard
Osmin: Peter Kellner
Bassa Selim: Martin Dvorak

NÄCHSTE VORSTELLUNGEN

27. April.
11./22. (15 Uhr)/25./29. Mai (18 Uhr)
2./4./10./12. (18 Uhr)/17./19. Juni (15 Uhr)
Falls nicht anders angegeben: 19.30 bis ca. 22.30 Uhr.
Kostenlose Stückeinführung jeweils 30 Minuten vor Beginn im Galeriefoyer.
Karten von 7 bis 79,50 Euro: Tel. (0316) 8000. www.oper-graz.com