Frau Laufenberg, rund zwei Drittel Ihrer ersten Spielzeit sind absolviert. Teilen Sie unsere Ansicht, dass das Grazer Theaterpublikum oft unberechenbar ist?
IRIS LAUFENBERG: Nein, das kann ich nicht bestätigen, zumal ich mit dem Begriff unberechenbar wenig anfange. Mir war klar, dass ich mit keinem leichten Spielplan starte. Und dass es, da ist Graz kein Einzelfall, oft eine Scheu vor Neuem gibt und die Besucher nicht gleich in Massen herbeiströmen.

Aber Sie haben rund 300 Abonnenten verloren?
LAUFENBERG: Nein, nein, großer Einspruch! Das ist grundfalsch. Die Abonnenten habe nicht ich verloren, die waren weg, bevor ich anfing.

Den Start erleichtert hat das aber keineswegs?
LAUFENBERG: Natürlich nicht. Aber das ist normal. Die Besucher wollten abwarten, was da kommt. Und mittlerweile gibt es sehr positive Tendenzen.

In welcher Form?
LAUFENBERG: Wir haben ein neues Halbjahres-Abo aufgelegt, da konnten wir 152 neue Abonnenten gewinnen. Das hat sich also sehr bewährt. Und in einer kürzlich durchgeführten Umfrage zeigte sich, dass wir ein sehr offenes, neugieriges und aufgeschlossenes Publikum haben.

In der Auslastung schlug sich das aber nicht nieder. Die lag im ersten Halbjahr unter 70 Prozent.
LAUFENBERG: Auch hier gilt zu meiner Freude: Im Dezember kam die Trendwende; seither spielen wir bei über 70 Prozent, im Februar sogar bei über 90 Prozent.

Sie bieten mehr als 20 Premieren, sogar mehr als das Burgtheater. Ist das nicht ein Überangebot, auch angesichts des doch recht kleinen Ensembles?
LAUFENBERG: Neun bis zehn Premieren im großen Haus sind für ein Stadttheater dieser Größenordnung keineswegs ungewöhnlich. Zumal die Projekte und Monologe in Haus Zwei oft aus dem Ensemble heraus entstehen und weniger an Probenzeit beanspruchen.

Nicht nur durch Ihre langjährige Tätigkeit als Leiterin des Berliner Theatertreffens verfügen Sie über ein hervorragendes Netzwerk. Sind mögliche Koproduktionen ein Thema für Sie?
LAUFENBERG: Ich bin mit Partnern der Stadt im Gespräch und an vielen Stellen wird es Kooperationen geben. Auf internationaler Ebene freuen wir uns über Gastspiel-Einladungen. Etwa mit „Merlin“, da sind wir im Mai nach Wiesbaden eingeladen.

Sie sind angetreten mit dem Anspruch, das Haus zu öffnen, auch für die Freie Szene. Bleiben Sie dieser Linie treu?
LAUFENBERG: Klar. Manche Partnerschaften haben sich verdichtet, etwa mit dem Theater im Bahnhof, aber auch mit der Akademie Graz. Da taten und tun sich großartige Möglichkeiten auf.

Eine Beratergruppe nahm jüngst die Vereinigten Bühnen unter die Lupe und fand bei den Besuchern drei markante Kritikpunkte: Die Werke seien zu schwierig, der Dresscode sei extrem störend und die Karten seien zu teuer. Ihre Reaktion darauf?
LAUFENBERG: Der Dresscode gilt wohl eher für die Oper. Und die Eintrittspreise halte ich im Theater keineswegs für zu hoch.

Und die Kritik, zu sperrig zu sein?
LAUFENBERG: Die stimmt, wie genannte Untersuchungen gezeigt haben, auch nur bedingt. Außerdem finde ich es schön, dass es Stücke gibt, die völlige Konzentration erfordern, die herausfordernd sind. Das sind ja wichtige sinnstiftende Geschenke.

Aber das Publikum hat auch berechtigte Wünsche nach niveauvoller Unterhaltung.
LAUFENBERG: Das haben wir ja auch eingelöst. Etwa mit Volpone oder den „Trümmerfrauen“.

Claus Peymann hat unlängst gepoltert, es sei schwachsinnig und verlogen, Themen wie die Flüchtlingskrise und die Asylantenproblematik auf die Bühne zu bringen. Teilen Sie seine Ansicht?
LAUFENBERG: Ach, der Peymann treibt immer alles provokant auf die Spitze. Aber der Hype an Stücken zu diesen Ereignissen ist mit Vorsicht zu genießen. Die Beschäftigung mit dem Thema soll und muss tiefer gehen. Das versuchen wir ja auch demnächst.

Mit dem Dramatiker*innen-Festival im Juni.
LAUFENBERG: Genau. Da gibt es unter anderem ein Rechercheprojekt von Clemens Bechtel, es wird Gastspiele von Theatern aus Rumänien und dem Kongo geben, wo Jan Gockel, der Regisseur vom Grazer „Merlin“, ein Projekt realisiert hat.

Demnächst werden Sie Ihren zweiten Spielplan präsentieren. Werden Stücke aus dieser Saison übernommen?
LAUFENBERG: Einige Produktionen sicher, aber Details folgen ja schon bald. Ich wollte nur etwas Grundsätzliches noch zur Intendanten-Problematik sagen.

Wir bitten darum.
LAUFENBERG: In meinen Anfangsjahren als Intendanten gab es eine Grundregel, die sich über fünf Jahre erstreckte, also eine Vertragdauer lang: Im ersten Jahr ist das Haus halbleer, im zweiten Jahr bleibt es schwierig, weil sich das Neue etablieren und bestätigen muss, und ab dem dritten Jahr funktioniert’s.

Was hat sich geändert?
LAUFENBERG: Dass man, salopp gesagt, nach dem Prinzip der eierlegenden Wollmilchsau gleich im ersten Jahr alle Wünsche erfüllen, allen Ansprüchen gerecht werden soll. Das geht halt leider nicht.

Bleibt das Ensemble in seiner derzeitigen Zusammensetzung erhalten?
LAUFENBERG: Ja! Und das ist mir ganz wichtig. Es gibt einen großartigen Gemeinschaftsgeist, jeder und jede im Team kann jederzeit eine Hauptrolle übernehmen. Da steckt enorme Kraft und Energie drin, die man natürlich nicht nur nützen, sondern weiterentwickeln soll und muss. Aber ich glaube, wir haben mit unserem Ensemble die Herzen des Publikums im Sturm erobert.

Es gibt ja auch schon einige Publikumslieblinge. Werden auch diese bleiben?
LAUFENBERG (lacht): Ich weiß, worauf Sie hinauswollen. Ja, auch Julia Gräfner bleibt!

Sie wirken äußerst zuversichtlich. Den Weg nach Graz haben Sie also wohl nicht bereut?
LAUFENBERG: Keineswegs. Und was die nächste Zeit betrifft: Ja, ich bin sehr zuversichtlich und guter Dinge.

INTERVIEW: UTE BAUMHACKL, WERNER KRAUSE