Andrea Berg (50) gehört zu den erfolgreichsten Musikerinnen im deutschsprachigen Raum. Millionen Tonträger hat die in Krefeld geborene Schlagersängerin in ihrer mehr als 20 Jahre währenden Karriere verkauft. "Seelenbeben" heißt nun ihr neues Werk, mit dem sie da anknüpfen will, wo sie vor gut zwei Jahren mit "Atlantis" aufgehört hat. Im Interview erzählt sie von zweideutigen Texten, dem Familienbetrieb und ihrem Produzenten Dieter Bohlen.

Frau Berg, was war Ihnen wichtig für das neue Album "Seelenbeben"?
ANDREA BERG: Die Songs sind tanzbarer als je zuvor, aber sie haben auch mehr Tiefe und versteckte Dinge, in die man eintauchen kann. Es sind viele Mutmacher-Songs auf der Platte. Ich glaube, das brauchen wir heute mehr denn je, weil je unsicherer unsere Umwelt wird, je unsicherer wir selbst sind, umso mehr muss sich die Seele auch mal ausruhen können.

Ihr Single "Diese Nacht ist jede Sünde wert" ist sehr direkt in der Ansprache.
ANDREA BERG: Ja, manche fragen sich: "Was macht die Berg denn da jetzt für ein Anmach-Song?" Dann sage ich: "Warum nicht?" Manch jemand wird dabei vielleicht an einen Flirt am Ballermann denken. Man kann das Lied aber auch ganz anders hören, nämlich so, wie ich es geschrieben habe: Die Nacht steht als Metapher für das Leben und dass man sich im Leben etwas trauen sollte. Wenn ich mich immer einfangen, zähmen und reglementieren lasse, dann bin ich nicht lebendig - und das wäre das Schlimmste für mich. Deswegen der Songtitel mit all der Provokation, die da drinnen steckt.

Haben sich Ihre Texte generell verändert?
ANDREA BERG: Ich glaube schon. Das hat auch etwas mit einem Reifeprozess zu tun. Früher hieß es "Du hast mich tausendmal belogen", heute bin ich in Sachen Trennungssong einen Schritt weiter. Wir Frauen brauchen nicht mehr zu betteln und zu sagen: "Bitte, bitte, du hast mich zwar tausendmal belogen, du hast mich verarscht nach Strich und Faden, aber bitte hör' nicht auf mich zu lieben!" Da müssen wir schon ein bisschen drüber stehen, finde ich. So nach dem Motto: "Weißt du was, du Armleuchter? Du hast mich gar nicht verdient!" Deshalb singe ich auf diesem Album "Ich werde lächeln, wenn du gehst".

Haben Sie sich mehr getraut?
ANDREA BERG: Zeilen wie "Es gibt für uns kein Happy End, weil meine große Liebe mit 'ner anderen pennt" hätte ich mich vor ein paar Jahren noch nicht getraut zu schreiben. Ich muss heute niemandem mehr etwas beweisen. Ich schreibe die Dinge, wie ich sie fühle. Und ich spüre eine Energiepotenzierung bei den Menschen, die mir bestätigen: "Ja, genau so ist es."

Muss der Schlager frecher werden?
ANDREA BERG: Ich finde, er sollte vor allem wegkommen von diesen Schön-Wetter-Schlagern, die sich ständig nur an der Oberfläche bewegen. Deshalb schreibe ich seit vielen Jahren meine Texte selber. Vor 20 Jahren hat mir jemand tatsächlich mal einen Text vorgelegt, der da hieß: "Noch ein Kuss, dann ist Schluss, dann kommt der Bus..." Es ist furchtbar, wenn etwas so banal ist.

Sie haben für die Platte mit DJ Bobo und Dieter Bohlen zusammengearbeitet. Waren die beiden mit Ihnen auch mal zur gleichen Zeit im Studio?
ANDREA BERG: Auf gar keinen Fall - das würde nicht gut gehen! Aber sie waren bei meiner Bergfest-Party. Die haben wir bei uns im Dorf gemacht, mit Brezeln, Würschteln und Bier, alle in Dirndl und Lederhose, selbst Herr Bohlen hatte eine Lederhose an! Er saß auf der einen Seite neben mir, Bobo auf der anderen. Ich saß also dazwischen. (lacht) Der Bohlen stellt ja gerne seinen Kamm auf. So ist er aber, das macht ihn auch liebenswert. Bobo ist da noch entspannter. Ich arbeite jetzt seit vielen, vielen Jahren mit beiden, und das funktioniert super! Vielleicht beflügelt sich das auch gegenseitig.

Ihre neue Platte veröffentlichen Sie auf Ihrem eigenen Label Bergrecords. Wollen Sie noch mehr die Fäden in der Hand halten als bisher?
ANDREA BERG: Ja, und das ist auch gut so. Das Geschäftliche liegt jetzt alles in meiner Familie. Um Bergrecords kümmert sich mein Sohn, und das Schöne ist, dass sich innerhalb der Familie niemand bevorteilen würde. Mein Sohn tut das, was für uns gut ist. Und das, was bei mir oben auf der Fahne steht, ist: Musik machen für Menschen - und nicht für die Industrie.

Wie sieht das in der Praxis aus?
ANDREA BERG: Ich will den Menschen Freude machen. Natürlich wird dabei Geld verdient, ganz klar. Aber nicht so wie üblich, dass Leuten mit diversen Bonus-Liedern auf irgendwelchen CD-Formaten unnötig das Geld aus der Tasche gezogen wird. Das gilt auch für die Eintrittspreise zu meinen Konzerten. Da ist es mir wichtig, dass es Stehplätze gibt, die sich jeder leisten kann. Außerdem gibt es ja Menschen, die sich zehn Andrea-Berg-Konzerte angucken wollen. Die stehen jeden Abend vorne an der gleichen Stelle.

Ab 14. Oktober gehen Sie auf große "Seelenbeben Live"-Tour. Sind Sie jemand, der immer noch einen draufsetzen möchte - so nach dem Motto: Immer höher, immer weiter?
ANDREA BERG: Nein, das darf man nicht tun. Das hat alles natürliche Grenzen. Aber wir brüten gerade eine richtig fette Show mit märchenhaften Kostümen aus. Man muss etwas Neues erfinden, was anderes machen. Schon nach der "Abenteuer"-Tour, wo wir das Schiff auf der Bühne hatten, fragten die Leute: "Wie willst du das noch toppen? Da kann ja nichts mehr kommen!" Aber da kann immer was kommen! Man darf sich nicht selber blockieren, der Druck entsteht ja durch den Erfolg selbst. Ich erzähle also für die kommende Tour einfach die Geschichten weiter. Denn das Leben geht ja auch weiter.

INTERVIEW: KATJA SCHWEMMERS, Deutsche Presseagentur