Klassiker, Klassiker und nochmals Klassiker: Das stand Samstagabend im ausverkauften Wiener Konzerthaus auf dem "Stundenplan" - denn Star-Trompeter Wynton Marsalis verpasste dem begeisterten Publikum gemeinsam mit seinem Jazz at Lincoln Center Orchestra eine Jazz-Geschichtsstunde vom Feinsten, zur Freude aller mit eineinhalb Stunden "Nachsitzen".

Wynton Marsalis ist - möglicherweise der allerletzte ganz große - Jazz-Traditionalist, seine Musik eine stete Verneigung vor den Giganten früherer Jahre, von George Gershwin über Duke Ellington und Dizzy Gillespie bis Charles Mingus und Wayne Shorter. Und genau aus diesen Quellen speiste sich auch das Programm des Abends: Nach einer traditionell beschwingten Funeral-Nummer aus New Orleans zum Aufwärmen in kleinerer Formation folgte gleich Mingus' "Soft Portrait". Und dann in voller 16-Mann-Big Band-Wucht ein spezielles Arrangement von Gershwins "I Got Rhythm" mit drei Posaunen, quasi parallel auf die vier Trompeten "draufgesetzt".

Die Big Band des Lincoln Center ist übrigens nicht weniger als eine Kooperative erstklassiger Solisten, die von Superstar Marsalis dezent geleitet werden. Der selbst hielt sich - entgegen dem ihn anhaftenden Image - äußerst bescheiden im Hintergrund in der letzten Reihe der Trompeter und gab seinen "Sidemen" Raum zur großartigen Entfaltung. Bei Dizzy Gillespies flottem "Things To Come" brillierte Wynton Marsalis dann aber erstmals deutlich hörbar mit allerhöchster Trompeten-Akrobatik. Vorn an der Bühnenrampe fand sich Marsalis tatsächlich nur ein einziges Mal, und zwar bei der ersten Zugabe mit einer zum Quartett reduzierten Band.

Zuvor reihte sich ein historisches Werk an das nächste: Wayne Shorters "Contemplation" mit dem bravourösen Saxophonisten Walter Blanding als Solisten, Gershwins "Rhapsody in Blue" (1924 geschrieben), in der Version, die Billy Strayhorn 1962 für Duke Ellington arrangiert hat, und "Mood Indigo" von Meister Ellington himself (von Marsalis schlicht als "Classic of Classics" apostrophiert).

Dass Musiker und Publikum angesichts einer solchen Riesenportion an Jazzgeschichte nicht gänzlich vor Ehrfurcht erstarrten, dafür sorgte einer, der aus der fantastischen Saxophon-Sektion des Orchestras noch hervorstach: Ted Nash, aus dessen 2007 uraufgeführten Musical "Portrait of Seven Shades" die Stücke "Dali" und "For Jackson Pollock" im Programm waren - mitreißende, zum Teil schrille Werke höchster Schwierigkeit, die dem Abend dann doch auch einen Touch von modernem Jazz verpassten.