Früher war doch alles besser: Die Rockmusik war ehrlicher, die Drogen effektiver und der Sex intensiver. Das könnte man jedenfalls glauben, wenn man in den Genuss der neuen HBO-Serie "Vinyl" kommt.

Ganz gemäß dem Klischee Sex, Drugs and Rock'n'Roll entführt das von Martin Scorsese und Mick Jagger produzierte, zehnteilige Format ab 14. Februar bei Sky in die glorreichen Tage der Musikindustrie.

Die Ausgangslage ist rasch dargelegt: Mit "goldenem Ohr, silberner Zunge und bronzenen Eiern" ausgestattet, fühlt sich Labelchef Richie Finestra (Bobby Cannavale) als König in seinem Reich - muss aber selbst zugeben: "Zum Problem wurde meine Nase." Dieser wird, ganz dem Rock'n'Roll-Lifestyle entsprechend, ein Pulverchen nach dem anderen zugeführt. Aber auch der Alkoholkonsum des selbstbewussten Managers kann sich sehen lassen und reicht an Kollegen wie Don Draper aus "Mad Men" locker heran. Hier sind es eben Vinylscheiben statt Werbeplakate, die sich fröhlich weiter drehen, während Finestra im Hintergrund versucht, die Fäden in der Hand zu halten und sich selbst vorm Absturz zu bewahren.

Martin Scorsese produzierte und führte bei der ersten Folge Regie
Martin Scorsese produzierte und führte bei der ersten Folge Regie © Evan Agostini/Invision/AP

Dass das mitunter ganz schön anstrengend werden kann, zeigt sich in der knapp zweistündigen Pilotfolge, die von Scorsese in Szene gesetzt wurde, recht schnell. Während in Deutschland mit Polygram über den Verkauf seiner Firma American Century Records verhandelt wird (was ganz nebenbei einen Großteil seiner Angestellten den Job kosten würde), muss sich Finestra schon wenig später über den geplatzten Deal mit Led Zeppelin ärgern und zu allem Überdruss mit einem durchgeknallten Radioboss fertig werden, der seine Künstler boykottieren will.

Zwischen Zigarettenrauch, reichlich Koks und viel nackter Haut wird also um die Zukunft gefeilscht - nur die Musik scheint hier ziemlich nebensächlich. "Du bist nichts ohne mich", wirft ihm sein Gegenüber an den Kopf. "Radio hat den Rock'n'Roll erfunden." Es bleibt letztlich aber wenig Zeit, diese Hypothese näher zu erkunden, wird man als Zuseher doch sofort zum nächsten Ereignis getrieben. Mitunter hat man das Gefühl, aufgrund der inhaltlichen Dichte in punkto Nebenschauplätze und atmosphärischer Zwischenspiele das große Ganze etwas aus den Augen zu verlieren. Wahrscheinlich fühlte es sich aber genau so an, als Anfang der 70er das große Geld und unzählige Abenteuer viele Glücksritter ins Musikgeschäft lockten. Ein paar Scheine hier, und schon lief der neue Song von Band XY auf heavy rotation im Radio oder konnte man sich über eine Chartplatzierung im vorderen Feld freuen.

Serienvorbild und Produzent: Mick Jagger mit seinem Sohn, dem Schauspieler Jack Jagger - der spielt in der Serie mit
Serienvorbild und Produzent: Mick Jagger mit seinem Sohn, dem Schauspieler Jack Jagger - der spielt in der Serie mit © Evan Agostini/Invision/AP

Serienschöpfer Terence Winter ("Boardwalk Empire") greift bei "Vinyl" in die Vollen und hat mit Etlichem, was er hier anschneidet, wohl nur zu recht. Wo allerdings ein Film wie "Almost Famous" gerade durch die liebevolle Behandlung seiner Charaktere punkten konnte, scheint sich im Universum von American Century Records niemand aufzudrängen, dem man - positiv oder negativ - wirklich verbunden scheint. Olivia Wilde als Finestras Ehefrau oder Juno Temple als ambitionierte Labelassistentin dürfen ihr Können nur kurz anreißen, ähnlich wie Komiker Ray Romano als Promotionchef oder Jagger-Sohn James, der passenderweise den jungen Rocksänger Kip Stevens mimt.

Rückblenden

Sie alle wirken zumindest zum Auftakt zu skizzenhaft, um bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Einzig Ato Essandoh lässt etwas tiefer blicken: Immerhin weiß man über seine Figur Lester Grimes dank einiger Rückblenden so viel, dass er als aufstrebender Sänger von Finestra zwar gefördert wurde. Der Bruch mit dem ganz auf Erfolg ausgerichteten künftigen Labelchef scheint aber unausweichlich.

Bleibt noch Cannavale, der den somit erzwungenen Solotrip in der Hauptrolle zwar großteils glaubhaft ausfüllen kann, aber trotzdem etwas eindimensional wirkt. "Ich habe es mir verdient, gehasst zu werden", geht ihm beinahe zu leicht von den Lippen, und verklingt ohne Widerhall.

Es bleibt abzuwarten, wohin sich "Vinyl" in den kommenden Episoden entwickeln wird. Die detaillierte und liebevoll arrangierte Ausstattung hält zwar einige Schauwerte bereit, aber nach dem gleichermaßen rasanten wie zu viele Register bedienenden Auftakt dürfte es die Serie zugegebenermaßen schwer haben, all diese Verstrickungen nachvollziehbar und zufriedenstellend aufzudröseln. Potenzial ist zwar durchaus vorhanden, aber noch dreht sich dieses "Vinyl" eindeutig in der falschen Geschwindigkeit.

Ab 14. Februar parallel zur US-Ausstrahlung in der Originalfassung via Sky Go, Sky On Demand und Sky Online abrufbar. Lineare Ausstrahlung ab 7. April.