Das neue Stück von Peter Handke, "Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße - Ein Schauspiel in vier Jahreszeiten", wird am 27. Februar am Burgtheater zur Uraufführung gebracht.

Herr Handke, im Moment sieht man in den Medien immer wieder Menschenmengen, die über die Landstraßen ziehen, eine Art neue Völkerwanderung. Auch Ihr Stück zeigt Gruppen von wandernden Menschen. Flüchtlinge scheinen sie allerdings nicht.

Peter Handke: Mein Stück habe ich ja schon vor zweieinhalb Jahren geschrieben und dann immer weiter gearbeitet bis vor einem Jahr. Nein, meine Art ist, was vielleicht ein Fehler ist, nicht Aktualität zu behandeln, sondern zu schauen, wo noch irgendwas Universelles in der Welt verborgen ist, ein Geheimnis. Ich habe nie Aktuelles behandeln können - im Gegensatz zu anderen Stückeschreibern. Es ist mehr ein präziser Tiefentraum vom Menschsein. Aber natürlich, wenn dieser Traum nicht auch das Aktuelle zumindest streift und zum Schwingen und zum Ondulieren bringt, hat es auch keinen Sinn. Das Universelle für sich existiert ja nicht.

Wer sind diese Unschuldigen, die in Ihrem Stück über die Straßen ziehen? Ist das ein Ausschnitt der Gesellschaft, wie Sie sie heute wahrnehmen?

Handke: Das kann ich nicht so generell sagen. Es sind natürlich kleine Porträts. Ich hab eigentlich das Stück nur "Die Unschuldigen" nennen wollen. Es sollte ein sehr polemisches Stück werden, fast ein zorniges Stück. Aber zum Glück gab es dann schon Stücke mit diesem Titel, und das hat mich dazu gebracht, viel epischer und viel weitherziger zu träumen, als ich es mir vorgenommen habe. Indem ich das Ich hinzugefügt habe und die Unbekannte, wurde es zu einem epischen Drama, wie es mir halt entspricht. Es ist sehr widersprüchlich.

Diesen Widerspruch internalisieren Sie auch in der Beobachterfigur. Sie spalten diese Figur auf in ein dramatisches Ich und ein Erzähler-Ich. Eine Aufspaltung, die man ja immer wieder auch beim Autor Peter Handke bemerkt.

Handke: Natürlich, das ist mein Problem. Aber ich bin immer so größenwahnsinnig, dass ich denke: Mein Problem ist nicht nur meines. Sonst würde ich ja nicht schreiben.

Wieso sehen Sie das als Problem? Es könnte ja auch ein Vorteil sein.

Handke: Ein Problem ist für mich ein Vorteil. Ein Problem ist das Fruchtbarste, das es gibt für den Menschen. Nein, nein, ich bin einverstanden mit Ihnen, dass es ein Vorteil ist. Aber mit dem Vorteil muss man auch etwas tun.

 "Die Unschuldigen" ziehen über die Landstraße. Wie unschuldig kann man denn heute überhaupt durch die Welt gehen?

Handke: Das ist eine philosophische Frage.

Anders gefragt: Fühlen Sie sich mitschuldig am Zustand der Welt?

Handke: Mitleidend eher. Aber ich würde nicht sagen, dass ich mich mitschuldig fühle. Nein! Aber auch nicht unschuldig. In meinem Stück sind die Unschuldigen ja nicht unschuldig. Sie sind eigentlich die selbstbewusst Unbewussten. Ich glaube, es ist ein geheimnisvolles Stück. Es ist ein pures Theaterstück, aber es ist heute auch das Problem des Theaters, dass man weggegangen ist von den wirklich puren Stücken. Eine Zeit lang war das auch richtig so, dass man gesagt hat: anything goes. Jetzt ist aber der Stand erreicht, wo durch dieses "Es geht alles" einfach nichts mehr geht.

Ist das auch ein Grund, warum Sie gesagt haben: Da vertraue ich mit Claus Peymann die Uraufführung am besten jemandem an, der so viele Texte von mir zu Uraufführung gebracht hat?

Handke: Das ist wieder ein anderes Problem.