Der Roman wurde von ihrem Sohn und Nachlassverwalter Edgar Walsh ediert. Er vermutet, dass seine Mutter das Manuskript kurz vor ihrem Tod im Jahr 1973 verfasste. Mit "Die gute Erde" aus dem Jahr 1931, in dem sie den Aufstieg eines armen chinesischen Bauern zum Großgrundbesitzer beschreibt, landete Buck einen Klassiker. Heute ist das Werk der in China aufgewachsenen Autorin allerdings etwas aus der Mode gekommen. Vielleicht könnte die Neuentdeckung jetzt wieder Interesse an ihr wecken.

"Die Welt voller Wunder" ist ein klassischer Entwicklungsroman. Pearl S. Buck beschreibt den Weg des hochbegabten Rann Colfax vom Heranreifen im Mutterleib bis zu seinem sensationellen Durchbruch als jugendlicher Bestsellerautor. Schon von Kindesbeinen an überragt Rann seine Altersgenossen an Intelligenz und Wissbegier. Eine verzehrende Neugier ist seine Antriebsfeder, sie führt ihn zu immer neuen geistigen Höhenflügen, macht ihn aber auch einsam. Großes Verständnis findet er nur bei seinem Vater, der die außergewöhnliche Intelligenz des Sohnes erkennt und fördert. Doch zu Ranns Unglück stirbt der Vater früh und der Sohn muss allein in die weite Welt hinaus.

Geradezu klassisch lässt Buck ihren Helden verschiedene Stufen der Erkenntnis erklimmen. Zunächst entdeckt er die Sexualität. Ein Lehrer, den Rann verehrt, enttäuscht ihn durch seine unerwünschte homosexuelle Annäherung. Eine jugendliche Witwe, mit der er ein paar Monate auf ihrem Landsitz in England zusammenlebt, führt ihn in die rauschhafte Erotik ein, doch am Ende bleibt nur ein schaler Nachgeschmack zurück. Schließlich lernt Rann in Paris Stephanie kennen. Die Französin mit chinesischen Wurzeln versucht (wie übrigens auch die Autorin selbst), ihre verschiedenen Identitäten miteinander in Einklang zu bringen. Bei ihr erfährt Rann die Liebe, aber auch den Sinn für Schönheit und Kunst.

Als US-Soldat in Korea bekommt Rann Einblick in dunkle Schwarzmarktpraktiken des Militärs, die er in seinem ersten Roman veröffentlicht. Das Buch macht ihn mit einem Schlag berühmt. Wie der Titel schon andeutet, begreift Rann die Welt als eine große Wundertüte, deren Geheimnisse er sich nach und nach aneignet. Es ist das Staunen, das ihn durchs Leben begleitet, die Suche nach Erkenntnis und Vervollkommnung.

Mit überreichen geistigen Gaben gesegnet und materiell bestens abgesichert, ist Ranns Leben geradezu märchenhaft, auch wenn ihm Kümmernisse und Enttäuschungen nicht erspart bleiben. Alles in allem ist Rann ein liebenswerter, aber doch etwas unrealistischer Held und seine Aneignung des Lebens wirkt nicht ganz von dieser Welt. Bucks letztes Buch erscheint wie ein vom Alter verklärter und weichgezeichneter Rückblick der Schriftstellerin auf ihr eigenes, an Erfolgen und außergewöhnlichen Erfahrungen reiches Leben.

(S E R V I C E - Pearl. S. Buck: "Die Welt voller Wunder", Deutscher Taschenbuch-Verlag, 368 Seiten, 20,50 Euro)