Als "Hotel Europa" war das Joseph Roth-Projekt des jungen Regisseurs Antu Romero Nunes (er inszenierte in Wien bereits Wolfram Lotz, Isabel Allende und Leo Tolstoi) angekündigt. Doch von dem 1924 erschienenen Roman "Hotel Savoy" von Joseph Roth sind nur wenig mehr als vier Hotelpagen-Uniformen geblieben. Der Abend heißt nun "Hotel Europa oder Der Antichrist. Ein Projekt frei nach Joseph Roth" und nennt die Roth-Werke "Der Antichrist", "Stationschef Fallmerayer", "April", "Die Flucht ohne Ende", "Die Beichte eines Mörders", "Die Geschichte von der 1002. Nacht", "Der Radetzkymarsch","Die Kapuzinergruft" und "Hotel Savoy" ebenso als Material wie Stefan Zweigs "Die Welt von Gestern" und eine Kolumne des Journalisten Thomas Fischer. Viel Stoff für zwei Stunden.

Schauplatz ist ein sich nach hinten verengender, von Portalen begrenzter, dunkler Raum (Ausstattung: Matthias Koch), der als Hotellobby gedeutet werden könnte. Das legen jedenfalls jene vier Pagen und Liftboys nahe, unter deren tollen, von fantasievollen Backenbärten und kahlen Schädeln gekennzeichneten Masken Aenne Schwarz, Katharina Lorenz, Fabian Krüger und Michael Klammer kaum zu erkennen sind.

Lange wird hauptsächlich geredet, es schwingen Militarismus und Untergangsvisionen mit, Desorientiertheit und Zukunftsangst. Jeder aus dem Quartett bekommt ausgiebig Zeit zum Monologisieren, zwischendurch macht man gemeinsam Pause, pflegt das abendländische Ritual der Kaffeejause und stellt sich mit dem an die Rampe positionierten Schild "Bitte ned stean" vorübergehend außer Dienst.

Irgendwie fühlt sich Nunes in den Ängsten und Umbrüchen der heutigen Zeit an die zerfallende Welt des Joseph Roth erinnert, und dieses Irgendwie kennzeichnet auch den Abend, der sich langsam immer größere Freiheiten nimmt. Erzählte und gespielte Bilder werden aneinanderreiht, immer wieder werden Fremdheit und Sprache thematisiert - neue Anläufe zu etwas, dessen Zusammenhalt undeutlich bleibt: "Hinter 1000 Fäden keine Welt" statt Roter Faden.

Der Sensenmann hat leibhaftig einen Auftritt, es schneit Federn, man schwingt an einem Seil. Sehnsucht nimmt auch Formen erotischer Begierden an, und im Darstellen einer mondänen Dame erhält Fabian Krüger endlich Gelegenheit zu zeigen, dass er es ist, der in seiner Verkleidung aus nasalem Dialekt und Kaiser Franz Joseph-Barttracht steckt. Antimodernismus paart sich mit Stummfilmszenen, Clowns und Slapstick werden auch eingebaut. Michael Klammer darf an einem Flipchart allerhand in ein durchgestrichenes Hakenkreuz mündende Rechnungen über das Verhältnis von Volk und Raum anstellen und hat dabei den Umrechnungsfaktor von Quadratmeter und Quadratkilometer nicht im Griff.

Wenn der Untergang des Abendlandes droht, muss man sich natürlich auch um die Zukunft der Musik sorgen: Von der Radetzkymarsch-Mitklatsch-Animation über einen Stehgeiger-Auftritt bis zur Wiedergeburt der zuvor als Kanonen-Rohstoff benötigten Kirchenglocken reicht das Spektrum. Mit dem Tod eines Clowns und dem langsamen Ausklingen von mächtigen Glockentönen schwingt auch der Abend aus, der im Zuschauer keine Alarmglocken ertönen lässt, sondern seltsam unberührt lässt. Nicht bei allen Zuschauern: Der Premierenjubel war hausüblich ausgiebig.

INFO: "Hotel Europa oder Der Antichrist", Ein Projekt frei nach Joseph Roth, Regie: Antu Romero Nunes, Ausstattung: Matthias Koch, Musik: Johannes Hofmann, Matthias Jakisic, Mit Aenne Schwarz, Katharina Lorenz, Fabian Krüger, Michael Klammer und Matthias Jakisic. Akademietheater, Weitere Vorstellungen: 12., 18., 19., 27.12., 5.1., Karten: 01 / 513 1 513.