Bekannt wurde Christian Berger als Kameramann von Michael Haneke. Spätestens durch die Oscar-Nominierung für seine Arbeit an "Das weiße Band" wurde auch Hollywood auf den 70-Jährigen aufmerksam. Niemand geringerer als Angelina Jolie ist die Regisseurin seines neuesten Werks "By the Sea". Wir sprachen mit dem Tiroler über Freiheit beim Dreh, Bauchentscheidungen und weitere Projekte mit Jolie.

Wovon machen Sie abhängig, ein Projekt anzunehmen?

Christian Berger: Das ist in erster Linie eine Bauchentscheidung. Aber wenn Angelina Jolie anruft, ist man nicht frei von dem Gedanken: Warum ruft die genau mich an? Das ist schon ein Ereignis gewesen. Das kam komplett aus dem blauen Himmel.

Sie hätten Jolie also blind zugesagt?

Berger: Es ist nicht ohne Einfluss. Aber das Drehbuch wurde zuerst anonym an mich herangetragen. Dabei habe ich mich auch schon wahnsinnig oft getäuscht, wenn ich nur ein Buch lese - denn ich sehe nur meinen Film. Und der ist selten der Film des Regisseurs oder der Regisseurin. Es abzutrainieren, dass man den eigenen Film sieht und trotzdem als Kameramann überlegt, wie man etwas umsetzt, ist schwierig.

Was mir an dem konkreten Buch gefallen hat, ist das alte Thema Mann-Frau. Das ist nicht so originell, aber die Tatsache, dass Angelina Jolie und Brad Pitt ein solches Risiko eingehen, sich gegen das eigene Klischee zu wehren, hat mich sehr beeindruckt. Das ist mutig und eine künstlerische Herausforderung. Jolie hat ihnen Charaktere auf den Leib geschrieben, für die sie nie besetzt würden. Und dann hat sie die Geschichte noch in die 70er verlegt, da sie beide ständig rauchen und saufen. Das konterkariert den Gesundheitswahn in den USA. Sie hat es deshalb auch als Experimentalfilm bezeichnet - was mich anfangs immer gewundert hat: Ein Budget von 27 Millionen wäre für Europa noch allerweil gut!

"By the Sea" hat eine sehr klare Struktur mit vielen Repetitionen. Wie viel Freiheiten hatten Sie bei der Gestaltung der Optik?

Berger: Ich hatte in diesem Projekt jede Freiheit. Ich habe natürlich im Vorfeld eine Shootingliste gemacht, die hat aber nie gehalten. Dennoch ist das wichtig, denn dann habe ich etwas zu ändern. Für mich war die Atmosphäre das Entscheidende.

"By the Sea" und "Das weiße Band" sind optische Antagonismen: Der eine lichtdurchflutet in warmen Farben, der andere in harten Schwarz-Weiß-Kontrasten. Welche Arbeitsweise bevorzugen Sie?

Berger: Ich habe da keine Präferenz. Das hängt einfach von der Geschichte ab. Das schönste Kompliment, dass ich bekommen kann, ist: Der hat kein Licht verwendet, sondern nur Naturlicht. Das geht natürlich nicht, aber Jolie war die Durchlässigkeit der Räume nach außen sehr wichtig. Und ich konnte österreichischen Filmexport betreiben: Mein ganzes Team kam aus Wien. Wir waren 25 Leute mit zwei Sattelschleppern.

Sie können also sagen: "By the Sea" ist optisch voll und ganz ein Christian-Berger-Film?

Berger: Das möchte ich immer sagen können. Nicht aus Eitelkeit, aber sonst ist es ja uninteressant.

Sind Sie nie enttäuscht, wenn sie im Nachhinein das fertige Ergebnis eines Projekts sehen, für das Sie die Kamera verantworten?

Berger: Das war früher oft der Fall und ist jetzt immer weniger gewonnen. Es ist ein Teil der Karriere, dass einem das gelingt. Es setzt immer voraus, dass man lernt, Nein zu sagen. Die wichtigen Entscheidungen in meinem Berufsleben waren immer der Sprung ins kalte Wasser. Man fängt jedes Projekt mit Null an, aber mit wachsender Erfahrung ändert sich das Null.

Ein verbindendes Element ihres Oeuvres sind ruhige Schnitte und teils tableauartige Einstellungen. Wäre für sie ein schnellgeschnittener Actionfilm auch reizvoll?

Berger: Ich glaube, ich könnte das gar nicht. Alle zwei Sekunden eine Explosion... Bei dieser Art des Filmemachens wird ja nicht mehr gedreht. Da liefert die Kamera nur mehr ein bisschen Futter.

Nach der guten Erfahrung: Ist für Sie eine künstlerische Dauerpartnerschaft wie mit Michael Haneke auch mit Angelina Jolie denkbar?

Berger: Sie hat mir schon was angeboten. Wir haben uns sehr gut verstanden - auch intuitiv. Sie hat mir wirklich vertraut und ich ihr auch. Das sagt sich so leicht, denn das ist ja keine Schmuseecke. Das muss man schon einlösen. Aber es haben beide betont, wie frei sie sich gefühlt haben, nicht unter dem technischen Diktat zu stehen.

Interview: Martin Fichter-Wöß/APA

FILMKRITIK ZU "BY THE SEA":

"By The Sea" von und Mit Brad Pitt und Angelina Jolie © AP

Die Ödnis einer Beziehung als öder Film

Angelina Jolie versucht sich an Nouvelle Vague und scheitert gemeinsam mit Ehemann Brad Pitt

Angelina Jolie versucht sich mit ihrem neuen Werk "By the Sea" an der Nouvelle Vague. Damit scheitert der Hollywoodstar grandios, sollte ihre Absicht als Drehbuchautorin, Regisseurin und Hauptdarstellerin nicht gewesen sein, die Ödnis einer Beziehung durch einen öden Film zu vermitteln. Über quälende zweieinviertel Stunden hinweg zeigt die Filmemacherin ab Donnerstag im Kino - praktisch nichts.

Die "Handlung" ist schnell erzählt: Anfang der 1970er kommt die depressive, tablettenschluckende Ex-Tänzerin Vanessa (Jolie) mit ihrem saufenden Schriftstellerehemann Roland (Brad Pitt, erstmals seit "Mr. & Mrs. Smith" 2005 wieder gemeinsam mit Jolie vor der Kamera) in ein Hotel an einer einsamen, französischen Bucht. Zu sagen hat man sich nichts mehr. Vanessa verlässt das Hotelzimmer praktisch nicht, während Roland im gegenüberliegenden Cafe säuft und kurze Beziehungsgespräche mit dessen Besitzer Michel (Niels Arestrup) führt.

So viel zur ersten Stunde des Films, der sich zäh wie eine Speckschwarte zieht und das Gefühl vermittelt, man wohne in Echtzeit dem mehrere Wochen dauernden Aufenthalt bei. Viele kurze Sequenzen reihen sich wortlos aneinander, dabei oftmals die gleichen Einstellungen und Kameraperspektiven immer und immer wiederholend. Der einzige Lichtblick in dieser Hölle des Stillstands sind die ästhetischen Bildern des Haneke-Kameramanns Christian Berger ("Das weiße Band"), der immerhin eine gewisse Variantenbreite zwischen Nahaufnahmen und statischen Tableaus bieten darf.

Nach einer Stunde gibt es dann eine kurze Bewegung in der drögen Stagnation, als Vanessa ein Loch in der Wand entdeckt, durch das man das Nebenzimmer beobachten kann. Dort sind Lea (die großartige, aus "Inglourious Basterds" bekannte Melanie Laurent) und Francois (Melvil Poupaud) auf Hochzeitsreise und entsprechend sexuell aktiv. Der voyeuristische Blick positioniert diese als Wunschbild zum Paar in der Krise. Leider bleibt der Fokus jedoch auf Vanessa und Roland, die ihren Routinen auch durch kurze Begegnungen mit ihren Nachbarn nicht entkommen können. Natürlich steckt hinter der Entfremdung der beiden ein traumatisches Erlebnis, das am Ende enthüllt wird, wobei jeder soap-affine Zuschauer schon seit zwei Stunden erraten hat, welches schlimme Erlebnis eine Frau Ende 30 traumatisiert haben könnte...

"By the Sea" nimmt sich viel Zeit für seine Figuren - was daran liegt, dass er nichts anderes zur Verfügung hat, auf das er sich konzentrieren könnte. Allerdings liegt hier die Fehleinschätzung vor, dass es reichen würde, die Kamera auf ein Gesicht zu halten, um eine Geschichte zu erzählen. Dazu müsste sich in diesem Gesicht etwas bewegen können, Emotionen oder Gedanken spiegeln, was bei Angelina Jolie schlichtweg nicht der Fall ist. Mit einer Einheitsmimik, die an den Modelgesichtsausdruck aus Ben Stillers Komödie "Zoolander" erinnert, wirkt die Schauspielerin wie die späte Hildegard Knef. Für die Rolle der nervigen Depri-Diva irgendeine Form von Empathie oder zumindest Interesse aufzubringen, dürfte den wenigsten Zuschauern gelingen. Und so leidet man 132 Minuten wie die Figuren - allerdings nicht aus den gleichen Gründen.

Martin Fichter-Wöß/APA

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